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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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gemerkt: Da stimmt was nich, wenn er von Ruderpartien in Frankreich redet und immer diese Lene aussem Roman im Boot hat. Was wollt er damit sagen, wenn er schreibt: ›Auf Frankreichs Flüssen und Seen kann man auch rudern?‹ Mit wem, hab ich mich gefragt. Und was macht er da unten so lang, in Lyon, wo er doch meistens über die Gegend vom Atlantikwall, über die vielen Bunker und ganz zum Schluß bißchen übern Endsieg geschrieben hat. Kam ja ab Mitte vierundvierzig nix mehr von ihm für die Reichsluftfahrt, so daß ich gedacht hab: jetzt hat ihn die Invasion erwischt. War aber nich. Saß ganz gemütlich in Lyon und Umgebung. Soll ja schön sein da unten. Und als er dann kam endlich, abgemagert, ziemlich zittrig und ›nervenpleite‹, wie er das nennt, hab ich nich viel gebohrt. Wollt es nich schlimmer machen, als es schon war. Na, mit unserm Georg allein … Und all die Bombennächte … Und nischt zu heizen … War aber man gut, daß wir bei meiner Tante Pinchen zwei Zimmer hatten und geheiratet haben, bevor sie starb, damit wir die Wohnung für uns behielten, und weil nu unser Teddy kam. Da war sein französisches Andenken, na, was vom Rudern übriggeblieben war, schon anderthalb, bißchen jünger als unser Georg. Hätt er mir ruhig sagen können, daß da was passiert is vielleicht. Genau, hat er ja och nich gewußt, was nachkam. Ich hätt ihn trotzdem geheiratet, meinen Wuttke. Aber nein, der muß immer alles unter der Decke halten, bis es schlimmer und schlimmer wird. Sie kennen ihn ja. Forsch doch mal nach, hätt ich gesagt, bestimmt, wenn er mir nur ein Sterbenswörtchen geflüstert hätt. Aber die Mutter hat sich och nich gerührt. Is ja verständlich, wo in Frankreich erst mal alles gegen uns Deutsche war und das arme Luder – die war so jung wie ich damals im Krieg – sicher paar schlimme Jahre durchgemacht hat, weil sie mit nein deutschen Soldaten … Hätt ja bestimmt Ansprüche gehabt, denk ich mal, auf Alimente. Vielleicht hat sie gedacht: Der ist tot. Oder sie hat nur im Westen gesucht und nich bei uns, weil wir sozialistisch waren. Oder weil sie nix aufrühren gewollt hat von damals. Oder sie hat jemand gekriegt und hat heiraten gekonnt. Wär ja möglich gewesen paar Jahre später. Oder sie hat ihren Stolz gehabt. Kann ich verstehn sogar. Und das Kind, als es älter wurd, wollt davon sowieso nix wissen, aus Trotz nämlich. Is mir och so gegangen, denn mein Vater, der in Oppeln meine Mutter geheiratet hat, war gar nich mein richtiger Vater, aber herzensgut war der. Nur darauf kommt’s an. Nee, bin keine geborene Hering. Und wenn Sie mich fragen, wer nu mein richtiger Vater gewesen is, kann ich nur sagen: Klavierlehrer war der und: Schwamm drüber! Wer weiß, was die Mutter, na, die in Frankreich, dem Kind später erzählt hat: nix oder die Hälfte nur oder was Falsches, wie meine Mutter, die immer drumrumgeredet hat, wenn ich gefragt hab. Und nu kommt auf einmal, kaum is die Mauer weg und kein Kommunismus mehr, sein Enkelkind und sagt: Hoppla, da bin ich! jedenfalls hat er das so erzählt. Nein, nich am Küchentisch morgens und och nich freiwillig und von sich aus. Da hätt ich noch lange warten gekonnt. Erst als ich ziemlich mißtrauisch wurd, hab ich zu ihm gesagt: ›Na, Wuttke, nu krieg ich richtig Lust, mit dir bißchen zu rudern.‹ Da wollt er nich, och wenn er anfangs, als das mit der Ruderei losging, gewollt hat. Da wollt ich nich, stimmt. Aber nu hab ich nich lockergelassen: ›Los, Wuttke! Wir beide in einem Boot. Das will ich erleben, bevor die Einheit kommt, kommt ja bald.‹ Und paar Tage vorher sind wir denn och, eh das losging mit dem Glockengeläute, mit der S-Bahn bis Bahnhof Zoo und dann zum Lützowufer am Landwehrkanal lang und denn rüber über die Brücke innen Tiergarten rein. Haben och gleich ein Boot gekriegt. Ein Bombenwetter. Und ich hab gerudert, weil er nich gewollt hat. Immer am Ufer lang und im Kreis. War richtig schön. Die vielen Enten und paar Schwäne sogar. Und überall junge Leute, die och gerudert haben. Sah bestimmt komisch aus: wir zwei Alte. Aber mein Wuttke hat kein Wörtchen gesagt, immer nur rumgedruckst. Und als er dann endlich
    - wir waren grad mitten auffem See, und ich hatt die Ruder reingenommen, um mich zu verpusten ein bißchen – auf einmal den Mund aufgemacht hat – ›Was ich noch sagen wollte, Emilie …‹ –, da wußt ich Bescheid. Denn wenn er Emilie und nich Emmi zu mir sagt, kommt meistens was Schlimmes. Na ja, eigentlich hat er mir

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