Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Prediger der calvinistischen Gnadenwahl zu bewundern waren. Und auch dorthin führte ein Stadtbummel das Paar: Sie fuhren mit der Straßenbahn bis zur U-Bahnstation »Stadion der Weltjugend«, die später schlicht »Schwartzkopffstraße« heißen sollte, um den nahegelegenen Friedhof der französischen Domgemeinde zu besuchen. Außer dem Grab des Unsterblichen war in Resten die Grenzmauer sehenswert, besonders dort, wo sie immer noch ungebrochen den katholischen Friedhof der St.-HedwigsGemeinde einengte. Lange standen sie dem restaurierten Grabstein gegenüber, vor den Madeleine einen Kranz getrockneter Immortellen legte, den sie für diesen Zweck mitgebracht hatte. »In Frankreich sind diese Strohblumen noch üblich.« Andere, teils frische, teils welke Gebinde lagen vor dem Stein mit den beiden Namen. Ein windiger Tag. Staub flog vom Ödland auf, das bis vor kurzem todsichere Grenze gewesen war. Was immer sie zu sagen hatten, soviel stimmt: Großvater und Enkeltochter sprachen
    - er sarkastisch, sie mitfühlend -über Emilie, geborene Rouanet-Kummer, sowie über die einerseits schwierige, andererseits haltbare Ehe des Unsterblichen, doch vermied Fonty, sein bürgerliches Familienleben in Vergleich zu bringen, wie er im Programm weiterführender Stadtbesichtigungen die Wuttkesche Wohngegend mit Bedacht aussparte. Zwar besuchte er mit Madeleine das Haus der Ministerien, fuhr mit ihr im Paternoster auf und ab und sogar über die Wendepunkte hinweg, doch nie liefen sie die Schönhauser Allee hoch, nie besuchten sie den Kollwitzplatz, und nie hat er seine Enkeltochter an der ehemaligen Schultheiß-, nun Kulturbrauerei vorbei bis zu den Offenbach-Stuben geführt und sie dort zu einem Glas Wein eingeladen. In keine der Szenekneipen führte er sie. Wir hätten uns anbieten und ihr aus unserem Halbwissen einige mehr oder weniger poetische Spitzelgeschichten flüstern können, doch wohlweislich hielten wir uns zurück; das Archiv durfte nicht ins Gerede kommen. So erklärt sich, daß Fonty und seine Enkeltochter nur bis zur Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gelangt sind. Dort wurde er sogleich wieder historisch. Und Madeleine beschwichtigte ihre Neugierde. Nur beiläufig hat sie nach dem Prenzlauer Berg und dessen kulturpolitischer Bedeutung gefragt: »Man liest soviel Häßliches darüber. Lauter Dinge, die ich nicht glauben mag. Diese vielen Verdächtigungen, Großpapa, ist da was dran?« Fonty wußte Antwort: »Niemand war sich auf dem Prenzlberg seiner selbst sicher.« Sein Eheleben blieb unbefragt. Alles, was Wuttke hieß, kam nicht vor, selbst Martha und Marthas Hochzeit nicht. Andererseits war Madeleines Verhältnis zu einem verheirateten Professor dem Großvater keine Frage wert, wenngleich er ahnte, daß seine Enkeltochter in Paris in etwas verstrickt war, das ihm die Studentin, die nur selten und dann neutral von ihrem Professor sprach, als »schwierige Beziehung« angedeutet hatte. Wir wußten mehr; doch woanders war der Groschen noch schneller gefallen.
    »Mein Gottchen!« rief Emmi. »Wie soll ich nichts merken, wenn mein Wuttke, kaum sind wir von der See zurück, rudern geht jeden Tag. Und immerzu sagt er, daß das gesund ist. Anfangs hab ich noch geglaubt, da is nich viel hinter – aber dann? Wie er nu anfing, über Rudern im großen und ganzen zu reden und was darüber bei seinem Einundalles steht, da hab ich gedacht: Das is wie früher, nein, ganz zu Anfang, als er aus Gefangenschaft kam und ganz runter war, auch wenn er noch so groß geredet hat über die neue Zeit, die nu anbricht. Na, über Aufbau und sozialistische Gesellschaft, weil nu endlich die Arbeiterklasse … Jedenfalls waren wir da schon verlobt, seit einundvierzig schon, aber nich verheiratet, weil Ja mein Wuttke nich da war, als unser Georg kam. Wie er aber nu nachem Krieg wieder da war, hab ich gedacht: Da muß was im Busch sein. Schon seine Briefe, die noch bis Sommer vierundvierzig mit Feldpost kamen, waren ziemlich komisch, noch komischer als sonst. Hab die ja leider alle verbrannt, als ich mal richtig Wut hatte, weil er sich vom Kulturbund nich hat anstellen lassen, als Kreissekretär in Oranienburg, Neuruppin sogar, von mir aus in Pasewalk. War aber nich. Auf keinen Fall, hat er gesagt. Da konnt ich zehnmal sagen: Wuttke, so geht das nich weiter. Und da hab ich, als er den Kulturkrempel hingeschmissen hat – tut mir ja leid –, die Briefe alle einfach im Küchenherd … Bestimmt über dreißig oder mehr … Aber ich hab gleich

Weitere Kostenlose Bücher