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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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glücklich schätzen. Ein großer Tag!« Vom Ufer aus sah das mühelos aus. Man mochte staunen, wie leichthändig die zierliche Person den tiefliegenden Kahn bewegte. Die familiäre Fracht war gut aufgehoben bei ihr. Mit ernstem Vergnügen und Geschick – zwei Ruderschläge links, ein Ruderschlag rechts – steuerte sie das Boot an anderen Booten vorbei. Oft waren riskante Manöver notwendig, denn mittlerweile herrschte auf dem Kunstsee im Tiergarten ziemlicher Betrieb. Vorfreude auf die angesagte Einheit gab den Ton an. In einigen beängstigend überladenen Booten hatten junge Männer jetzt schon, am späten Nachmittag, die Bierflasche am Hals. Einander zuprostend war man sich einig. Kehlige Deutschlandrufe von Boot zu Boot. Laute Eintracht wurde behauptet. Man kam sich näher, immer näher und im Fall zweier Boote, in denen heftig schaukelnd Seegang vorgetäuscht wurde, zu nahe. Nicht nur Madeleine, auch wir hatten das kommen sehen: Nach heftigem Zusammenprall wäre der eine kiellose Kunststoffkahn beinahe gekentert und fielen vom anderen drei waghalsig auf der Ruderbank stehende junge Frauen, die sich, den Grazien gleich, umarmt hielten, eine die anderen mitziehend über Bord, bei viel Geschrei natürlich. Wir lachten, denn anfangs sah das lustig aus und hatte in anderen Booten und auf der Liegewiese Gelächter und verstärkte Deutschlandrufe zur Folge. Dann wurde deutlich, daß nur zwei der Frauen schwimmtüchtig waren. Die dritte hatte Mühe, ihre Hilferufe vom Gegröle der geeinten Lustigkeit abzuheben. Schon war sie für Sekunden unter Wasser. Da alle mit sich selbst zu tun hatten, fiel das nicht auf. Ein Unglück schien unbemerkt seinen Verlauf zu nehmen, denn wir waren weg, weit weg. Die Ertrinkende blieb allein mit ihrem nun schon tonlosen Geschrei. So sah es aus. Und hätte nicht Madeleine Aubron mit einigen Ruderschlägen die Nichtschwimmerin erreicht, ihr den linken Riemen zum Festklammern ausgeschwenkt und die beinahe Ertrunkene nah an den anderen, fast gekenterten Kahn geschleppt, so daß dessen Besatzung, vier nicht mehr ganz nüchterne, doch immerhin zupackende junge Männer, die gänzlich um ihre Frisur gebrachte Blondine an Bord ziehen konnte, wäre der Vorfreude auf das Einigvaterland ein Unglücksfall zur Last geworden; so aber konnten sich die männlichen Bootsinsassen um die gerettete junge Frau wie um ein Geschenk kümmern. Fast sah es so aus, als wollten sie sich die Beute teilen. Die beiden anderen Frauen waren ans Ufer geschwommen. Niemand kümmerte sich um sie.
Auf allen Booten, die sich, vom Unglück angezogen, genähert hatten, wurde die Rettungstat beklatscht. Doch Fonty fand kein Vergnügen: »Müssen immer kolossal übertreiben! Haben keine Ahnung, was Einheit heißt, feiern sie aber. Tun grad so, als stünde der Sedanstag im Kalender!« Emmi beschwichtigte: »Sind doch junge Leute, Wuttke!« Er kollerte vor sich hin: »Lauter verhinderte Reserveleutnants! Maßlos, maßlos über alles!«
»Ist ja grad noch mal gutgegangen, weil unsre Marlen aufgepaßt hat.«
»Sag ich ja: Aufpassen muß man!« Und Madeleine, die sich die Abwandlung ihres Vornamens mit kleinem Lächeln gefallen ließ, sagte: »Ich fand das lustig. Kann doch überall passieren, nicht wahr? Auch in Frankreich, zum Beispiel am Quatorze Juillet, wenn alle übermütig sind und glauben, sie müßten noch einmal die Bastille stürmen. O ja! Nicht nur in Paris, überall auf den Straßen.« Schon war das knapp verhütete Unglück dem See nicht mehr anzusehen. Überall gab es noch Bierflaschen. Man überschrie sich wieder aus Vorfreude. Von der Seemitte gesehen – denn inzwischen hatten auch wir ein Boot gemietet –, ruderte die zierliche und doch, wie alle miterlebt hatten, zupackende Person das Ehepaar Wuttke in Ufernähe. Nein, Madeleine ruderte ihre Großeltern, denn immer häufiger sagte sie grand-père und grand-mère; das ließ sich Madame Wuttke gefallen.
Wir nannten das »Emmis Gutmütigkeit«. Oder besser: wir verbuchten alles, was sie seit Jahren hinnahm, auf dem Konto ihrer geräumigen Gemütsverfassung. »Na, wenn Marlen unbedingt auf ne neue Oma scharf war, konnt sie die kriegen von mir aus. Mein Wuttke und ich haben die Kleine natürlich geduzt. Aber die blieb dabei: immer per Sie.
Bißchen altmodisch, was? Aber das is so in Frankreich, daß man zu Opa und Oma Sie sagt.« Zu dritt in einem Boot. Beim Rudern geplaudert: jetzt Unverfängliches über das anhaltend schöne Wetter, über Türken in Berlin und

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