Ein weites Feld
Lasson – Sie werden sagen, schon wieder ein Jude – bestätigt fand, taten die Juden dazumal die deutsche Kulturarbeit, und die Deutschen leisteten als Gegengabe den Antisemitismus. Und was ich meiner Mete über den christlich-sozialen Hofprediger Stöcker und den Giftspritzer Ahlwardt zu schreiben hatte, daß nämlich der Ahlwardt ein Lump sei, bleibt richtig, selbst wenn die Herren Söhne und der Herr Schwiegersohn später meinten, Rücksicht nehmen und den ›verrückten Lump‹ bei der Veröffentlichung der Familienbriefe streichen zu müssen. Wahrscheinlich hat sich Mete deshalb geweigert, als Mitherausgeberin zu zeichnen. Desgleichen fehlt in der späten Ausgabe der Gedichte mein Gelegenheitsgedicht zum Fünfundsiebzigsten. Dabei mußte gesagt werden – freiweg! –, daß bei den Feierlichkeiten, wie schon zum Siebzigsten, Preußens Adel durch Abwesenheit glänzte. Es war, wie sonst der Pastor von der Kanzel predigt: Ich sehe viele, die nicht da sind. Und deshalb reimte ich: ›Keine Bülows und Arnims, keine Treskows und Schlieffen und Schlieben und über alle hab ich geschrieben. Dafür jene von prähistorischem Adel, die Abram, Isack, Israel. Alle Patriarchen waren zur Stell. Stellten mich freundlich an ihre Spitze, was sollten mir da noch die Itzenplitze!‹« Weil Hoftaller schwieg oder schweigend nach seinem entschwundenen Dauerlächeln suchte, hakte Fonty, der nun Oberwasser hatte, sogleich nach: »Waren doch bei der Geburtstagsfete dabei, Tallhover! Zweifelsohne dienstlich. Haben emsig ne Liste gemacht für Ihren Rapport. Jadoch, Brahm, Lazarus, Wolff, alle waren gekommen. ›Die auf ’berg’ und auf ’heim’ sind gar nicht zu fassen, sie stürmen ein in ganzen Massen.‹ Sogar Liebermann, dem solch ein Auflauf, wie mir, zuwider war, hat mich beehrt. Und selbstverständlich der Co-Verleger Fritz Theodor Cohn an der Seite meines in Verlagsdingen nicht immer glücklichen Sohnes Friedrich. Und deshalb schließt das bei dieser Gelegenheit verzapfte Gedicht mit artiger Verbeugung: ›jedem bin ich was gewesen, alle haben sie mich gelesen, alle kannten mich lange schon, und das ist die Hauptsache … kommen Sie, Cohn!‹« Inzwischen waren die beiden Jahresendbummler an der HumboldtUniversität und dem Roß- und Reiterdenkmal vorbei. Die Staatsoper hatten sie hinter sich. Der ereignisreichen Zeit wegen herrschte Unter den Linden ein Sog in Richtung Tor. Es ging ja nicht irgendein beliebiges Jahr zu Ende. Und während beide nun wie vom Zeitgeist beschleunigt vorankamen -»Go West« hieß eine Zigarettenreklame jener Jahre –, fand der in Hoftaller abgetauchte Tallhover sein Dauerlächeln wieder: »Na ja, Sie gelten nun mal als ausgepichter Judenfreund. Doch selbst Ihr Biograph Reuter tut sich mit dieser Legende schwer. Mußte an Ihrer, nach Percy, einem Blutritual abgeschöpften Ballade ›Die Jüdin‹ – ›Sie hatte ein silbernes Messer, das trennte gut und schnitt … ›– ziemlich schlucken. Wurde anno zweiundfünfzig im Tunnel gelesen, doch erst vierzig Jahre später folgten Sie dem Wunsch Ihres Tunnelfreundes Heyse und kippten den Knabenmord aus der folgenden Neuauflage der Gedichte. Und außerdem: Was für ne wacklige Meinung zur Dreyfus-Affäre! Ist alles in den schriftlichen Plaudereien mit Ihrem Spezi Friedlaender verbrieft: ›Ich war anfangs natürlich ganz Zola!‹ Dann aber kommt die Kehrseite zur Ansicht. Einer jüdischen ›Gazettenverschwörung‹ sind Sie auf der Spur: ›… die europäische Presse ist eine große Judenmacht, die es versucht hat, der gesamten Welt ihre Meinung aufzuzwingen.‹ Da wird -Hand aufs Herz, Fonty! - der wohlwollende Philosemit – ›Kommen Sie, Cohn!‹ - zu nein stinknormalen Antisemiten. In Himmlers ›Schwarzem Korps‹ wurde denn auch prompt, und zwar anno fünfunddreißig, Ihre, wie wir wissen, immer noch griffige Verurteilung des internationalen Judentums fettgedruckt. Und wie Sie einerseits honigsüß beteuert haben: ›Ich bin von Kindesbeinen an ein Judenfreund gewesen und habe persönlich nur Gutes von den Juden erfahren …‹, waren Sie andererseits nicht sparsam mit happigen Prophezeiungen, und zwar in ein und demselben Brief; denn was Sie am
1. Dezember 1880 Ihrer Busenfreundin und Beichtmutter Mathilde von Rohr vorausposaunt haben, hört sich heute wie Endlösung an: ›… Dennoch habe ich so sehr das Gefühl ihrer Schuld, ihres grenzenlosen Übermuts, daß ich den Juden eine ernste Niederlage nicht bloß gönne, sondern wünsche.
Weitere Kostenlose Bücher