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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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laufendem Prozeß ›Rote Kapelle‹ genannt wurde. Und sicher will ich den Offizieren Harro Schulze-Boysen und Erwin Gehrts in meiner Denkschrift ein Kapitelchen einräumen, zumal sie ja hier, an Ort und Stelle, von einer Toilette aus Funkkontakt mit anderen Widerstandsgruppen gehalten haben. Ein Leichtsinn, wie sich zeigen sollte, denn bald danach flogen sie auf. Übrigens wurde mir Oberst Gehrts nach Rückkehr von Dienstreisen persönlich bekannt. Sobald ich meine Berichte bei der für mich zuständigen Abteilung vorgelegt hatte, fand sich Zeit für ein Plauderstündchen mit diesem überaus typischen Schreibtischoffizier, dem niemand soviel entschlossene Haltung, bis hin zur Todeszelle in Plötzensee, zugetraut hätte. Dazu ein wirklich belesener Mann: Wie bei Liebknecht und dem Historiker Mommsen gehörte ›Vor dem Sturm‹ zu seiner Lieblingslektüre. Da ich mich leichtfertigerweise -und eher wie nebenbei als Kurier benutzen ließ, hatte ich in meiner Tasche oft Briefe, die für Gehrts bestimmt waren. Auch konnte ich annehmen, daß ein Teil jener Kurierpost, die mir zugesteckt wurde, sobald ich, laut Marschbefehl, wieder nach Frankreich mußte, den Oberst Gehrts und den Oberleutnant SchulzeBoysen als Absender hätte ausweisen können. Zum Glück hat mich keine Kontrolle erwischt. Überhaupt sind mir die Gefahren meiner Soldatenzeit nie recht bewußt gewesen, auch wenn man mich, als es zu den Prozessen kam, mehrmals im Prinz-Albrecht-Palais, das sich ja hier gleich um die Ecke befand, ziemlich gestapomäßig verhört hat. Man konnte mir aber nichts anhängen; oder es ist der mir lebenslang zugeordnete Schutzengel gewesen, dem es – damals noch unter dem Namen Tallhover – gefallen hat, mich abzuschirmen. War eine Zitterpartie. Verdacht ist immer! Sie kennen ja diese als Zufälle getarnten Spielchen auf Leben und Tod aus Ihren mexikanischen Jugendjahren, als jeder jeden Trotzkist schimpfen durfte. Doch trotz aller Gefahren, in die mich die Rote Kapelle gebracht haben mag, bleibt es dabei: ein tadelloser Mann, dieser Oberst Gehrts. Ganz ohne die übliche Forsche, dabei kolossal weltläufig. Leider gehört diese Episode genauso wenig in die Denkschrift wie meine Frontberichte, die sich eher in literarisch-historischen Stimmungsbildern gefielen. Andererseits muß wohl ein kurzes Erlebnis bedacht werden, das, wenn auch am Rande nur, unseren Arbeiter- und Bauern-Staat betraf, und zwar während dessen Frühzeit, als wir uns alle noch hoffnungsvoll auf dem richtigen Weg glaubten. Ich spreche von jener Zusammenrottung der Bauarbeiter von der Stalinallee, die bald enormen Zulauf erhielt und die von unseren führenden Genossen – aber auch von Ihnen, lieber Freundlich – wirklichkeitsblind als vom Westen gelenkter Putsch oder
    - nach damaliger Sprachregelung – als Konterrevolution eingeschätzt wurde. Und jene aufständischen Arbeiter, die der Westen später unter dem Schummelbegriff ›Volkserhebung‹ zu Tode gefeiert hat, jene zuerst nur streikenden – Sie erinnern sich: Es ging um die Erhöhung der Normen –, dann jedoch revoltierenden Arbeiter, zogen, auf gut zweitausend Mann geschätzt, vor das Haus der Ministerien. Meine Emilie, die damals noch als Bürokraft im HdM angestellt war, hat das alles gesehen: die eher ruhige als zornentbrannte Masse, die wie gekälkten Arbeiterklamotten. Man wollte irrtümlicherweise hier, im Ehrenhof, den Generalsekretär der führenden Partei zur Rede stellen. Sprechchöre riefen nach ihm. Doch der Spitzbart war anderswo. Nur ein einziger Minister, wahrscheinlich Selbmann, traute sich, vor die Menge zu treten, wollte reden, beschwichtigen, kam aber nicht zu Wort, wurde vielmehr ausgebuht und vom Podest gedrängt. Statt dessen sprach ein Steinträger vom Block C-Süd. Der rief, erinnert sich meine Emilie, ›Arbeiterverräter!‹ und ›Normen runter!‹ Das ist alles an historischer Begebenheit. Immerhin, einen Akzent sollte diese Konfrontation – hier streikende Proletarier, dort der sprachlose Minister – meiner Denkschrift setzen, wenngleich mir, sobald ich den i7. Juni 53 auf dem Papier habe, sofort der 18. März anno 48 in die Quere kommt. Sie wissen ja, wie kurzgefaßt das Urteil des Unsterblichen in den späten Erinnerungen lautet: ›Viel Geschrei und wenig Wolle!‹ Und das, obgleich der junge Apotheker beim Barrikadenbau dabeigewesen ist und sogar zum Sturmläuten in die Georgenkirche eindringen wollte. Doch das Portal war geschlossen, was ihn zu der knappen, aber

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