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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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erste deutsche Arbeiter- und Bauern-Staat ausgerufen worden war, im Paternoster Stück für Stück ankam und im Erdgeschoß ausstieg. Von ihm gab es an der Pinnwand im Treuhandzimmer gleichfalls ein Photo, doch waren auf diesem Archivbild zwei Personen zugegen: Neben Ulbricht saß Goebbels, der Kommunist neben dem Nazi, der Spitzbart neben dem Klumpfuß. Und beide waren zu Beginn der dreißiger Jahre dabei, in Berlin den Streik der Verkehrsbetriebe zu organisieren; aus ihrer Sicht waren die Sozialdemokraten Feind Nummer 1. Fonty war sich nicht sicher, ob der spätere Staatsratsvorsitzende – der, seines Vornamens wegen, viel später literarisch als »Sachwalter« umschrieben wurde – von oben herab allein kam oder ob neben ihm, größer als er, sein Begrüßgustav Otto Grotewohl stand. Mit Wilhelm Pieck gemeinsam, dem dritten Genossen im Bunde, wäre die Kabine zu eng gewesen. Fonty beschränkte sich auf den Spitzbart. In seinen viel zu weiten Hosen ließ er den Sachwalter des taufrisch ausgerufenen Staates ins Bild kommen und mit sicherem Hüpfschnitt aussteigen. Auch ihm war Gefolge nachgeordnet. Da Fonty bei dieser historischen Paternosterfahrt nicht Augenzeuge gewesen ist, mußte er nicht grüßen; als aber Ulbrichts Nachfolger, der Mann mit dem Hütchen, den Ost und West »Honni« nannten, kurz vor Schluß und Mauerfall, gerade noch rechtzeitig und aus Anlaß der Feiern zum vierzigjährigen Bestehen des Arbeiter- und Bauern-Staates, das Haus der Ministerien besuchte, sah der Aktenbote Theo Wuttke, Fonty genannt, auch diesem historischen Abstieg zu: die Schuhe voran, das Hütchen zuletzt.
    Nun war die Reihe komplett. Weitere Auftritte gab die Historie vorerst nicht her, wenngleich er allzu gerne die aus Bonn angereiste regierende Masse in eine Kabine gezwängt und in absinkender Tendenz nachgewiesen hätte. Fonty ließ den Episodenfilm noch einmal und abermals ablaufen. Im Paternoster geeint. Vom Reichsmarschall bis zum Chef der Treuhand. Die Denkschrift hatte ihr zwingend zeitraffendes Bild. Zugleich sah er sich in wechselnden Zeiten immer wieder auf eine steigende Kabine warten. Er begriff die Mechanik der Wende in Gestalt eines rastlos dienstwilligen Personenaufzugs. Soviel Größe. Soviel Abstieg. Soviel Ende und Anfang. Doch nach Schwerin schrieb er an seine Tochter Martha nur knapp: »Sah kürzlich unseren Chef aus dem Paternoster steigen. Was dieser Mann sich zumutet, ist zuviel. Eine kolossale Machtfülle, die eigentlich niemand gutheißen kann. Letzte Entscheidungen über Menschen und Eigentum, auf die – da bin ich mir sicher -Haß antworten wird. Mit erstem Blick gesehen: ein forscher Kerl. Ist Erfolg gewohnt. Versteht es zuzupacken. Hat was Gewinnendes. Möchte aber nicht in seiner Haut stecken …«

28 Vor das Denkmal gestellt
    Der Rat ihres Vaters hieß: »Berapple Dich nach Möglichkeit!« Außerdem las Martha Grundmann, geborene Wuttke, in diesem längeren Brief: »… Mama, der es seit Wochen unverhofft gut geht, befindet sich neuerdings, das heißt, seitdem ein Fernsehapparat unsere Wohnküche zum Kriegsschauplatz macht, in allerbester Stimmung, sogar in Bombenstimmung, wenngleich sie angesichts der treffsicheren Berichterstattung aus der Golfregion immer wieder ›Ist das nicht schlimm, ist das nicht furchtbar‹ ruft, oft zusammen mit der Scherwinski, die jedesmal ihren Senf dazugibt: ›Ehrlich, wird einem janz schwach von. Immer feste druff!‹ Manchmal gucken sogar ihre Bengels zu, als liefe Sandmännchen oder ein verspätetes Weihnachtsmärchen. Und Mama duldet das alles und füttert die Jungs, kinderlieb, wie sie ist, mit Streuselkuchen ab. Ihr imponiert das Zielgenaue. Stell Dir vor: Deiner Freundin Ingemaus erklärt sie, was Abfangraketen sind. Sie redet vom System ›Patriot‹ und von Zielkoordinaten, als ginge es darum, die Vorzüge eines neuen Weichspülers anzupreisen. Zwar sitzt sie in Schlorren bei ihrem Blasentee, aber zugleich erlebt sie sich als Augenzeuge in vorderster Frontlinie. Nur einmal hörte ich sie besorgt: ›Ob die da unten in der Wüste auch richtige Luftschutzbunker haben wie wir damals, als bei uns Krieg war und wir im Keller von der Reichsluftfahrt oder, wenn sie nachts kamen, hier unten bibbern mußten?‹
    Gegen meinen Willen und Wunsch hat sie den jetzt zentral stehenden Guckkasten natürlich ein Westprodukt mit allen Schikanen – zuerst ins Wohnzimmer, nach meinem Protest in die Küche geschleust, wo er nun dort, wo einst die alte Küchenwaage Zierde

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