Ein weites Feld
gewesen ist, den Herrgottswinkel zum Altar macht. Auf mich wird kaum Rücksicht genommen. Und als ich Einspruch gegen die dröhnende Schwarzkopferei und das ferngesteuerte Säbelrasseln erhob, bekam ich zu hören: ›Du bist doch sonst immer für Krieg gewesen, Blitzkrieg und so. Weiß noch genau, der zweite September hieß bei Dir Sedanstag!‹ Soviel zur Bilderflut. Du verstehst, meine Mete, daß mich dieser quatschköpfige Untermieter aus dem Haus treibt. Als noch Schnee unter den Sohlen knirschte, lief ich durch den Tiergarten und hoffte, dort Ludwig Pietsch beim Schlittschuhlauf rund um die Rousseau-Insel zu begegnen. Doch nun nieselt es vor sich hin. Will mir keine Erkältung einfangen, kann aber andererseits keine brennenden Ölfelder mehr sehen, keine Expertenrunde mehr hören und hoffe, wenn nicht auf Frieden, dann doch auf Waffenruhe, zumindest in unserer Küche. Dabei sind wir jahrezehntelang ohne Mattscheibe weltkundig gewesen. Gewiß nicht dank erschöpfend berichtender Zeitungen, denn selbst die mir gewohnte ›Wochenpost‹ hielt strenge Diät. Aber mit Hilfe unseres die Grenze mißachtenden Radioempfängers waren wir auf dem laufenden. Hörte gerne Bundestagsreden. Hab immer noch Erler und Carlo Schmid im Ohr. Oder wenn wir beide, obwohl das Deine FDJ verboten hatte, den SFB oder RIAS hörten, etwa Friedrich Lufts Theatergeplauder ›Gleiche Welle, gleiche Stelle …‹ Atemlos aktuell war das. Mußte an den Eckplatz Nr. 23 im Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt denken. Begann mit ›Wilhelm Tell‹, hörte auf mit ›Die Weber‹. Keine Premiere versäumt: ob Max Halbes Jugend‹ oder Ibsens ›Nora‹ … Und wenn es schon damals Radio gegeben hätte, wäre vielleicht auch mir an gleicher Stelle, auf gleicher Welle …
Aber das reicht Mama nicht. Bildchen, bewegliche und obendrein farbige, müssen es sein. Komme mir seitdem fehl am Platz vor, zumal der Kriegslärm bis in meine Studierstube dringt. In dieser Welt zu leben ist für einen alten Knaben wie mich degoutant geworden! Schrieb deshalb neulich an Freundlich: ›Das einzig Nette ist noch: in der Sonne sitzen und blinzeln‹, wenn sie denn schiene …«
Der Brief an Martha verlangte doppeltes Porto, weil er, an mehreren Tagen fortgesetzt, immer dicker wurde. Darüber verging der Februar. Wir kürzen Fontys Klagen über die neuen Medien ein wenig und setzen erst dort wieder ein, wo er mit weiteren Erinnerungen Blätter füllte: »… Was waren das für Zeiten, als Polenaufstände, der Krimkrieg und das Amerika in Nord und Süd zerreißende Gemetzel verspätet zwar, doch für uns brandneu durch Gustav Kühns kolorierte Bilderbögen bekanntgemacht wurden. Mein Vater, dessen letzte Jahre uns die leidige Politik vorenthalten hat – Du warst knapp zehn, als man Dir mit dem Mauerbau den natürlichen Zugang zum skurrilsten aller Großväter versperrte –, dieser Max Wuttke steckte voller Bilderbogengeschichten, weil er von früher Jugend an, noch vor der Lehre bei Kühn, beim Kolorieren der Steindrucke Geschick bewiesen hat. Höre sofort Deinen Einwand. Aber was heißt hier Kinderarbeit? Immerhin hat er als Knirps schon für die Wuttkefamilie ein Zubrot verdient. Und mir konnte er während der zwanziger Jahre keine größere Freude bereiten als mit alten Drucken, die bei Kühn oder Oehmigke & Riemschneider auf Lager geblieben waren und die er – offenbar am Meister vorbei – als Makulatur gerollt nach Hause brachte. Was den heranwachsenden Lümmel in Entzücken versetzte, ist mir bis heute vor Augen geblieben. Zum Beispiel ein Blatt, das den Einzug des Prinzen und der Prinzessin Friedrich Wilhelm durch das Brandenburger Tor bebildert. Das geschah kurz vorm Sturz der Regierung Manteuffel, als dem Unsterblichen endlich die langgeplante Schottlandreise gegönnt wurde. Alles stand unter dem Datum des 8. Februar 1858. Ganz unten war sogar kleingedruckt die Zeit angegeben: ›Fünf Minuten vor 2 Uhr‹ Ein Hochzeitsbild! Vom Kanonendonner und Glockengeläut für die Neuvermählten und vom Willkommensgruß des Oberbürgermeisters von Berlin, namens Krausnick, war zu lesen. – Naja, dem späteren Kronprinzen waren nur neunundneunzig Tage Kaiserwürde gegönnt, und auch dem Volk hat so viel Aufwand wenig gebracht, nur diesen Steindruck. Dabei fällt mir das düster schwarzweiß gehaltene Blatt ›Napoleon vor Moskau‹ ein. Und unauslöschlich ist jener farbige Bogen geblieben, der mit dem Datum vom
19. März 1848 vom Berliner Aufruhr, von
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