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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Barrikaden und schwarzrotgoldenen Fahnen, vom Freiheitsbaum im Vordergrund und vom im Hintergrund aufmarschierenden Militär samt Pulverdampf berichtete. All das liegt mir in meinen späten Jahren noch immer wie druckfrisch vor. Wie imprägniert sind Barrikadenkämpfe. (Seitdem hab ich es mit der Revolution.) Dagegen heutzutage: rasch löschen die Bilder sich gegenseitig. Nichts bleibt haften. Was sie sekundenschnell zeigt, nimmt die Bilderflut mit sich. Denn wenn ich Mama nach dem Abendessen frage: ›Nun, was hast du Interessantes gesehen?‹, höre ich: ›Zuviel auf einmal. Einfach schlimm, was die da alles zeigen. Am Ende weiß man nie, was am schlimmsten gewesen ist.‹ Glaub mir, Mete, an dieser Bildvergeßlichkeit ist nur das Fernsehen schuld …«
    Wenn wir hier abermals unterbrechen, dann um Fontys bei wechselnder Laune immer länger werdenden Brief auf den Punkt zu bringen, und der hieß Neuruppin. Dorthin zielten seine Gedanken nach jeder Abschweifung und trotz aller Fixierung auf häusliche Nebengeräusche: »… Deshalb bin ich sicher, daß wir nur wenig von der unglücklichen achtundvierziger Revolution und den Märzgefallenen wüßten, wenn es dazumal schon dieses dem Gedächtnis abträgliche Küchenfernsehen gegeben hätte. Doch zum Glück gab’s außer Menzels Bild, das nicht fertig wurde, noch Gustav Kühn aus Neuruppin! Und dorthin will ich einen kleinen Ausflug machen. Demnächst schon. Muß endlich raus aus dem gräßlich vermufften Berlin, das nun, obgleich ungeteilt, nichts mit sich anzufangen weiß. Sobald ich meine Pflichtübung für die Treuhand zu Papier gebracht habe und Mama mir das Manuskript abgetippt hat – so viel will sie sich, trotz Guckkasten, abringen –, soll’s losgehn. Ein Tagesausflug bei hoffentlich vorfrühlingshaftem Wetter und ohne meinen elementaren Schnupfen. Leider ohne Mama. Auch wenn sie dieser Tage wieder einmal mehr aus Beeskow als aus Toulouse ist, verlockt sie dennoch das Märkische überhaupt nicht. Neuruppin? Igittegitt! Du kennst ja ihren Eigensinn. Zwar nannte Alexander Gentz die Ruppiner allesamt Philister und Schafsköpfe, doch die Hauptsache bleibt, daß dort nicht nur Schinkel, sondern auch … Naja. Sie will partout nicht. Und außerdem weigert sich Madame prinzipiell, im Trabi zu reisen. ›Da kriegt mich keiner mehr rein‹, sagt sie, ›lieber lauf ich zu Fuß!‹ Nein, es geht Dir wie uns: Von Teddy hören wir nichts. Aber vorgestern kam kurzgehaltene Post von Friedel. Noch immer stehen als Sammelbändchen meine Kulturbundvorträge in Frage; ein Vorschlag seinerseits, der bei Eurem Hochzeitsessen ziemlich gönnerhaft über den Tisch kam und mir Hoffnung machen sollte. Zwar bin ich ganz und gar – und werde mich darin schwerlich ändern – gegen Geschäftsbeziehungen zwischen Vater und Sohn, habe aber, um nicht zu verletzen, nachgegeben und einige Vorschläge gemacht. Doch nun schreibt er mir von ›notwendiger Programmverschlankung‹ und von einer ›gesamtdeutschen Absatzkrise‹ auf dem Buchmarkt. Kolossal steifleinern drückt er sich aus. Da lob ich mir Professor Freundlich; der ist noch bei Zahnweh espritvoll. Ja ja, ich weiß: Dir ist das Geistreiche der Juden, daß sie so fix und spritzig im Ausdruck sind, schon immer ›nervig‹ gewesen, aber aus germanischer Schwerblütigkeit läßt sich allenfalls Trübsinn ableiten. Womit wir wiederum bei Dir sind. Ich wünsche mir meine Mete lichtvoller. Gibt es denn nichts, was Deinen gewiß schwierigen Ehestand ein wenig aufheitern könnte? Und wenn ich Dir nun briefverborgen gestehe, daß auch mir unser Prenzlberger Ehekreuz einige Druckstellen hinterlassen hat, bitte ich Dich zugleich, einen Blick auf die Potsdamer Straße zu werfen: Auch dort kam Heiterkeit allenfalls unverhofft und klopfte vorher nicht an. So ist mir der plötzlich versprochene Ausflug nach Neuruppin zum Lichtblick geworden. Und so geschah mir kürzlich, als mich wieder mal ein Kind – es war eine spillerige Göre, so ums Einschulalter herum – im Tiergarten, als kaum noch Schnee lag, mehr aufforderte als bat, ihm die offenen Schnürsenkel zur Schleife zu binden. Mußte in die Knie gehn, die alten Knochen beugen. Knackte ordentlich, hat mir aber den ganzen Tag vergoldet und noch den nächsten; weshalb ich Dir sage: Schleifenbinden ist besser als Trübsalblasen. Das gilt auch für Schwerin, wo, wie ich höre, die Treuhand-Filiale mächtig unter Kritik steht; Dein Baulöwe Grundmann, den ich grüße, wird schon wissen, warum

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