Ein weites Feld
besucht hat. Desgleichen bot sich dem Unsterblichen, kaum aus Swinemünde zurück, ein gutes Jahr lang die Möglichkeit, als Quartaner, dann Untertertianer die lateinische Inschrift über dem Schulportal zu studieren – übrigens eine Sentenz, die viele politische Systeme überlebt hat; weshalb Fonty, gleich nach dem Museumsbesuch und sobald beide vom zentralen Platz aus das alte Gymnasium im Blick hatten, diesen Widmungsspruch für Hoftaller, der ohne Schullatein aufwachsen mußte, übersetzt hat: »Den Bürgern der kommenden Zeit«.
Nun muß gesagt werden, daß den Bürgern der damaligen Wendezeit nicht alles vergangen sein wollte. Die ehemalige, in aller Länge die Stadt vom Fehrbelliner zum Rheinsberger Tor durchquerende Friedrich-WilhelmStraße hieß immer noch Karl-Marx-Straße, wie auch der übergroße Bronzekopf des so folgenreichen Denkers unverrückt auf das zweistöckige und überm Portal von einem Türmchen verzierte Schulgebäude blickte. In diese Richtung schauten gleichfalls Fonty und Hoftaller, wobei sie der Bürger vergangener und kommender Zeiten gedachten. Da standen sie wie zum Phototermin bestellt. Die schwarzpatinierte Bronze gab einen übermächtig dräuenden Hintergrund her. Haupthaar und Bart des Denkers glänzten vom letzten Regenguß. Doch als beide so sinnfällig neben dem Marxkopf in Position standen, wurde nichts aus dem völkermitreißenden Manifest laut, vielmehr bestand Fonty darauf, aus »Meine Kinderjahre« zu zitieren: »Es war beschlossen, mich auf das Ruppiner Gymnasium zu bringen. Der Tag nach unserer Ankunft war ein heller Sonnentag, mehr März als April. Wir gingen im Laufe des Vormittags nach dem großen Gymnasialgebäude, das die Inschrift trägt: Civibus aevi futuri. Ein solcher civis sollte ich nun auch werden …« Hoftaller, der weniger den Schulkasten, mehr die Marxbüste fixierte, sagte, als gelte es von dem kolossalen Rauschebart Abschied zu nehmen: »Frage mich, ob die Bürger der kommenden Zeit dieses Altmetall demnächst einschmelzen müssen. Viel Gewinn bringt das nicht. Und die so anhänglich benannte Straße schreit geradezu nach ner Umbenennung. Wahrscheinlich wird wieder irgendein Friedrich-Wilhelm herhalten müssen …« Inzwischen war Fonty seinen erweiterten Schulerfahrungen, dem Gymnasiasten Theo Wuttke, auf den Fersen: »Habe hier achtunddreißig mein Abi gebaut. Nannte sich damals Oberschule. Danach gleich Arbeitsdienst und Kommiß. Na, Sie wissen ja, Tallhover, wie ich zur Reichsluftfahrt gekommen bin. War ein Druckposten. Immer Etappe. Mußte als Skribifax kein Pulver riechen. Bin deshalb dankbar, weil mir Jegliches Heldentum im Grunde zuwider … Lassen wir das. Und nach der Befreiung hieß diese pädagogische Kaserne eine Zeitlang Schüler-Schule. Dann hat man ein paar Jahre lang den Namen des Unsterblichen ausprobiert. Paßte aber den führenden Genossen nicht. Ernst Thälmann mußte herhalten. Jetzt und für die kommende Zeit gibt man sich provisorisch: ›Kultur-und Bildungszentrum‹ -daß ich nicht lache.« Nachdem sie das Schinkeldenkmal am gleichnamigen Platz besichtigt und im Portal der Schinkelkirche einen Regenguß abgewartet hatten, bummelten sie durch die zerfallene Altstadt, entlang der Siechenstraße zur Klosterkirche, dann bis zum Seeufer und der Anlegebrücke für Motorschiffe, die, wie ein Zeitplan versprach, ab Mal die Ruppiner Seenplatte befahren würden. Auf dem Rückweg suchten und fanden sie die Stelle, wo einst die väterliche Löwenapotheke gestanden hatte. Da alles fremd wirkte, hielten sie nur kurz. Aber nahe dem Heimatmuseum gab es ein verrottetes Haus, in dem Gustav Kühns Bilderbögen vom Stein weg gedruckt worden waren. Auch hier nur Kurzkommentare. Sie verzichteten auf Kaffee und Kuchen, liefen vielmehr -nun zielstrebig – zum Trabi zurück. Der sandgelbe Trabant stand in der Franz-Künstler-Straße, nahe dem Denkmal. Wir vom Archiv müssen eingestehen, daß uns diese gepflegte Parkanlage nicht häufig gesehen hat; diesmal warfen wir einen Schatten.
Wie erwartet fanden sie den Schriftsteller als rastenden Wanderer, in Bronze sitzend, auf einer steingehauenen Bank. Er wollte von allen Seiten besichtigt werden. Dort, wo er sich mit dem linken Arm abstützte, war der Armlehne eine Metallplatte im Schmucksims eingelassen, auf der zu lesen stand, daß dieses Denkmal im Jahr 1907 dem »Dichter der Mark« errichtet worden war. Seitdem sitzt er im offenen Mantel, schlägt das rechte Bein über, läßt die rechte Hand, die
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