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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Ihrer Mathilde Möhring einiges zuzutrauen wäre, der gezielte Schuß war nicht ihre Sache. Mathilde geht andere, langsame Wege, Gewalt ist bei ihr nicht drin.« Wir hören Fontys hohes, Heiterkeit vortäuschendes Lachen. Nichts amüsierte ihn mehr als Hoftallers Literaturkenntnisse: »Sie hätten Professor werden sollen, denn scharfsinnig im kriminalistischen Sinn sind Sie nicht. Zu mehr als zum Puzzle, diesem ridikülsten aller Geduldsbeweise, hat es bei Ihnen noch nie gelangt. Begriffsstutzig sind Sie. Schon Tallhover mußte, seinem Biographen zufolge, monatelang auf falscher Fährte herumtappen. Hören zwar überall die Flöhe husten, doch selbst mich, der ich aller Welt wie ein offenes Buch vorliege, durchschauen Sie nicht, geschweige denn eine gewisse Person. Aufgepaßt, Hoftaller: Sie hat den prosaischen Blick, wasserblau natürlich. Aber kein diffuser Silber-, ihr Blechblick auf die Realitäten von heute hat sie handeln lassen: Peng! Und schon ist sie abgetaucht. Einfach weg und woanders da. Kennt man doch: das altbewährte Haubentaucherprinzip. Schon geht sie, tüchtig und proper wie zuvor, einer nützlichen Beschäftigung nach, sitzt entweder angestellt im Katasteramt oder sortiert Tulpenzwiebeln in einer Großgärtnerei. Lehrerin wäre zu naheliegend oder nicht naheliegend genug. Zweifelsohne, hier im Haus, gleich in welcher Abteilung, besorgt sie, gerüstet mit Sachkenntnis, das gegenwärtig prosperierende Geschäft des Abwickelns, kolossal fleißig!«
Nicht nur uns, auch Hoftaller hat diese Beweisführung überzeugt, er sagte: »Das leuchtet ein. Der Täter – von mir aus die Täterin – könnte sich im Umfeld der Treuhand befinden. Sie oder er werden hier auf Gehaltsliste geführt. Womöglich sitzt sie – wenn es denn unbedingt ne Mathilde Möhring sein soll – in der Abteilung Verlagswesen, denn wenn ich an all die abzuwickelnden Staatsverlage, den überfälligen Personalabbau, die vielen, demnächst untätigen Lektorinnen denke …« Plötzlich wurde Fonty abweisend schroff. Er sprang aus dem Sofa, lüftete, nicht wie gewohnt stillschweigend, sondern schrie: »Ich dulde nicht mehr, daß Sie in meinem Zimmer Ihre Zigarren paffen, auch wenn Sie behaupten, es seien die allerletzten.«
»Geh ja schon. Nur noch soviel: der Täter …«
»Sagte bereits, eine Frau ist untergetaucht.«
»Also die Täterin …«
»Ausmachen! Sofort ausmachen den Stummel!«
»Wenn es denn sein muß …« Fonty setzte sich wieder. Und Hoftaller, der mit seinen letzten Kubanischen sparsam umging, steckte den kalten Stummel weg und durfte in der Täterin eine Sekretärin oder Sachbearbeiterin vermuten: »Vielleicht handelt es sich um ne Person, die vom Alex übernommen wurde. Bestimmt keine ehemalige Genossin, eher eine von diesen protestantischen Kirchenmäusen, die Montag für Montag und immer mit Kerzen und Leidensblick …«
»Mithin tippen Sie auf eine Frau, die imstande ist, die Folgen der Abwickelei wie am eigenen Leib zu spüren, und deshalb glaubt, stellvertretend für ihre leidenden Mitmenschen, also radikal christlich handeln zu müssen …«
»Auf den Punkt, Fonty! Untertauchen muß nicht ›Ab in den Libanon‹ bedeuten, sondern kann durchaus heißen, sich nicht zu bewegen, an Ort und Stelle zu bleiben, ohne Mucks seine Pflicht zu tun und vor wie nach der Tat die leitenden Herren der Abteilung mit frischem Kaffee zu bedienen. Ein Büropflänzchen, nett, unauffällig gefällig …«
»Hat was für sich, Ihre These. Ein wenig Sorge bereitet mir einzig ihr Freund. Denn sie hat einen Freund, den ich vollbärtig sehe, dabei ahnungslos und nicht unähnlich einem der vielen in Politik machenden Pastoren mit Bart. Träumerisch unentschlossen ist er ein ›Schlappier‹, wie Mathilde Möhring wußte, als sie den in der Georgenstraße vorsprechenden Hugo Großmann als zukünftigen Untermieter begutachtete. Einer, der keinen Muck hat, aber durchaus liebenswert ist, auch wenn sie zu ihrer Mutter sagte: ›… schwarzer Vollbart und ordentlich ein bißchen kraus. Mit solchen ist nie was los.‹ Jedenfalls könnte ihr solch ein Freund als Typ gefährlich werden, bestimmt auf Dauer, denn die Fahndung wird sich über Jahre hinziehen. Aber wir wissen ja, Hugo Großmann wurde nicht alt.« Nachdem sie die Steckbriefe der unauffälligen Täterin und ihres bärtigen Verlobten mit weiteren Details bereichert hatten, ging Hoftaller, und Fonty lüftete wie gewohnt. Er blickte aus offenem Fenster in den Innenhof, dessen vierkantiger

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