Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Wußten Sie det, Herr Wuttke?« Fonty deutete einen »gelegentlichen Meinungsaustausch« mit dem Chef an -»Er war, sofern es seine Zeit erlaubte, an Literatur interessiert« – und bedankte sich noch einmal für die Zimmerpalme: »Kenne solche Prachtstücke nur aus verglasten Gewächshäusern, in deren schwüler Treibhausluft … Aber nun muß ich mich wieder an die Arbeit … Hat mich gefreut, liebe Frau Frühauf … Ein überaus sprechender Name, da Sie ja schon im Morgengrauen auf den Beinen sein müssen …« Sie sagte: »Jeh ja schon« und aus der halboffenen Zimmertür: »Na, vleicht bring ich Ihnen morgen wat Feines: Heliotrop, kurz vorm Aufblühn.« Jetzt erst, indem sie ging, sah Fonty ihr Profil. Gewiß, eine unscheinbare, vor der Zeit gealterte Frau, abgearbeitet oder, wie man zu sagen pflegt, verblüht – und doch eine Frau mit Gemmengesicht.
Der Heliotrop blieb vages Versprechen, aber Helma Frühaufs Profil hat er uns mit Quellennachweis verdeutlicht, indem er Mathilde Möhrings Jungmädchenerlebnis zitierte: »Das war in Halensee gewesen an ihrem siebzehnten Geburtstag, den man mit einer unverheirateten Tante gefeiert hatte. Sie hatte sich in einiger Entfernung von der Kegelbahn aufgestellt und sah immer das Bahnbrett hinunter …« Und dann rief Fonty einen der Kegelbrüder als Kronzeugen auf, der dem häßlichen Entlein mit letztem Beweis ein wenig Schönheit bestätigte: »Sie hat ein Gemmengesicht.« Er wiederholte feierlich diesen Satz und fügte, im Zitat bleibend, hinzu: »Von diesem Worte lebte sie seitdem …« Als die Putzfrau gegangen war, saß Fonty noch lange am leeren Schreibtisch und versuchte, sich an die Zimmerpalme zu gewöhnen, wie er in den vergangenen Tagen bemüht gewesen war, die vom Haus der Ministerien übriggebliebenen Pflanzen als Erblast zu akzeptieren. Ein wenig Nachmittagssonne half ihm dabei. Das Schattenspiel der Palmwedel an weißer Wand. Und gleichfalls warf die blühend und rankend bestückte Etagere einen Schatten. Mag sein, daß er Helma Frühaufs Profil gleichfalls als Schattenriß imaginiert hat die unter der Kopftuchschleife gewölbte Stirn, die kaum vorspringende Nase, der geschlossene, die Unterlippe betonende Mund, das ausgeprägt starke Kinn, dessen Bogen ohne Verdoppelung sanft in den säulenhaft steilen Hals glitt –, denn als er bald danach an seine Tochter schrieb, setzte er ein Zitat aus »Mathilde Möhring« an den Briefanfang: »In der Kunst entscheidet die Reinheit der Linie …« Dieser Kurzroman wurde lange nicht fertig. Mit zweiundsiebzig brachte der Unsterbliche – gerade war »Frau Jenny Treibel« erschienen – die erste Niederschrift zu Papier. Gleichzeitig lag »Effi Briest« als Entwurf vor. Depressionen und die große Nervenkrise kamen dazwischen. Schließlich erlaubte »Der Stechlin« keine Vollendung der an sich bündigen Geschichte. Nach dem Tod lagen dem nachgelassenen und kaum leserlichen Manuskript zwar Kommentare und Korrekturen auf Zetteln bei, doch kamen mit dem acht Jahre später veröffentlichten Erstdruck viele Fehler und Entstellungen, sogar Verfälschungen auf den Buchmarkt, denen erst unser Kollege Gotthard Erler mit seiner gründlich edierten Weimarer Ausgabe abgeholfen hat; seitdem findet dieses kleine Werk, dessen Titelheldin lange dem Leser abstoßend gewesen ist, immer mehr Zuspruch, nun auch bei Feministinnen, denen Mathilde Möhring als beispielhaft gilt. Auch davon handelte Fontys Brief nach Schwerin. Er riet seiner Tochter, endlich Willensstärke zu beweisen: »Dem Leben immer wieder Alltagssiege abzutrotzen sollte fortan Dein Ziel sein …« Der nächste Tag bescherte dem freien Mitarbeiter der Treuhandanstalt Theo Wuttke eine Topfpflanze namens »Fleißiges Lieschen«, und ab Mittag lag ihm – per Hauszustellung – endlich Arbeit auf dem Tisch. Mit wenigen Worten wurde er von der Abteilung »Öffentlichkeit und Kommunikation« aufgefordert, sich auf Wortsuche zu begeben, Wortfelder anzulegen, um für »abwickeln« ein besseres Wort zu finden. Fonty stellte das heftig blühende Fleißige Lieschen auf die Etagere, goß alle Pflanzen und summte, weil gutgelaunt, etwas Preußisches, dann aber sagte er vor sich hin: »Wer möchte in die Achtziger kommen, nur noch den Kopf schütteln, und niemand weiß, ob vor Alter oder über den Lauf der Welt?«

32 Auf Suche nach einem Wort
    Manchmal waren seine Zitate auf aktuelle Anlässe gemünzt. Ende April hatte »Palme paßt immer!« Konjunktur, später begrüßte er uns

Weitere Kostenlose Bücher