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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Kopftuch, in lindgrünem Faltenrock, beiger Bluse und torfbrauner Jacke, deren Schulterweite von männlichem Zuschnitt war. Sie brachte ein Töpfchen Primeln mit und blieb auf einen Wilthener Weinbrand, von dem sie, aufs Sofa gebeten, ab und zu nippte. »Jott, sehn Se, Herr Wuttke, is ja man jut so, daß wir det Jrünzeuch jerettet haben, sonst wär det och noch auffen Müll jewandert. Stimmt doch. War doch Ihre Idee jewesen, na, mit dem Zwischenlager für Büropflanzen? Erst ham wir jeschimpft, aber denn fleißig jegossen, die janze Zeit über, wo früher mal de Kantine war. Sah wien Treibhaus aus.« Fonty berichtete der Besucherin von seiner neuen, bisher vergeblichen Tätigkeit: »Nun schreien sie um Hilfe, wissen nicht ein noch aus, die Herren Abteilungsleiter und ihre übergeordnete Dame. Setzen einfach ein Wort in die Welt und wickeln einen Betrieb nach dem andern ab, bis sie den Faden auf ihrer Rolle haben. Und jetzt soll ›abwickeln‹ nicht mehr gut sein, ist anrüchig geworden, klingt zu negativ. Das heißt, abwickeln will man weiterhin, doch unter anderem Namen. So ist das mit dem Umtaufen. Wenn man, zum Beispiel, von ›freigestellten Kräften‹ redet und dabei Arbeitslose meint, klingt das zwar positiv, ändert aber unterm Strich nichts. Reine Weinpanscherei und ausgemachter Etikettenschwindel. Und nun soll mir, dem schon oft ein passendes Wort gefehlt hat, was Rettendes einfallen. Hab bisher nichts im Kasten und bin im allgemeinen gegen Gesuchtheiten, aber vielleicht gelingt es Ihnen, liebe Frau Frühauf, mit einer Findung zu überzeugen.« Sie hielt das Gläschen mit den Fingerspitzen beider Hände und hatte die Knie unterm Rock eng beieinander. Auch beim Sprechen gab sie ihre schadhaften Zähne nicht preis: »Na, Sie wissen ja, Herr Wuttke, daß man meinen Mann och freijestellt hat. War bei VEB Narva inne Glühbirnenproduktion. Brauchen se jetzt nich mehr, haben im Westen jenug davon, Osram und so. Bei meinem Erich ham die da oben von sowat wie ›verschlanktem Personalbestand‹ jeredet und denn noch von ›ausdünnen‹. Und nu hängt er rum zu Haus. Aber ich hab ihn schon anjemeldet auf Lehrgang: Kompjuter und so.« Fonty griff zum Bleistift: »Verschlanken ist besser als ausdünnen. Verschlanken ist immer richtig.« Danach schrieb er die Geschichte der VEB Glühlampenwerke als mögliche Bilderbogengeschichte auf ein anderes Blatt: »Man könnte im Neuruppiner Stil mit Edison, dem Erfinder der Glühbirne, beginnen und dann die ewig vom Kurzschluß bedrohte Erleuchtung der Welt von Station zu Station steigern, bis es bei der volkseigenen Narva und auch sonst zappenduster wird – nun ja …« Helma Frühauf nippte unterdessen vom Weinbrand. Später plauderten sie, ohne ernsthaft weitere Wortsuche zu betreiben. Fonty erzählte von seiner Tochter und dem in Schwerin geläufigen Grundstücksschacher. Er sagte, daß ihm die »gräßlichen Glotzaugen« der Mecklenburger schon immer ärgerlich gewesen seien: »Doch immerhin ist ein Inspektor Bräsig und ein Tischlermeister namens Cresspahl auf ihrem Mist gewachsen.« Dann kam er wieder auf die Treuhandanstalt und fragte sich und Frau Frühauf: »Muß es denn partout so ruppig und menschenverachtend zugehn?« Sie sagte: »Muß wohl. Hört man doch immer: Muß leider so sein. Und wenn man fragt: Aber jeht’s nich och anders? Dann kriegt man jesagt: Na klar jeht’s och anders, wie unterm Sozialismus, nämlich bergab. Stimmt ja. Aber bergauf, Herr Wuttke, jeht’s so janz bestimmt nich.« Helma Frühauf saß nun im handbreit zu kurzen Rock mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Sofa, doch hat uns Fonty versichert, daß er sich nicht ihrer Waden wegen, die er, »dank harter Arbeit«, muskulös nannte, vom Schreibtisch weg in seitliche Sicht gebracht habe. Wir durften seine Begründung, wie mittlerweile üblich, zu Protokoll nehmen: »Wollte sie unbedingt im Profil sehn. War nicht besonders schwer, denn eigentlich zeigte sie ihre bessere Seite selbst dann noch, wenn sie sich schier den Hals verrenken mußte.« Helma Frühauf hatte Gewohnheiten, sie rauchte. Und eine ihrer Redensarten, wenn sie auf Kurzbesuch kam, hieß: »Komm auf ein Stäbchen nur.« So sehen wir sie: das Gemmengesicht mit Stäbchen. Nie saß sie in einer der Sofaecken, immer hielt sie die Sofamitte besetzt. Ob mit gepreßten Knien oder übereinandergeschlagenen Beinen, den Rauch entließ sie bei seitlich gewendetem Kopf. Dabei hob sie ihr rundes, ein wenig vorspringendes

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