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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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mit dem Echo einer Suchanzeige des Unsterblichen: »Mir fehlt ein Wort. Doch hab ich’s im Kasten, ist der Rest eine Kleinigkeit«, und als er nach gut einer Stunde ging, legte er dem Archiv nahe, ihm einen Romantitel, als sei er brandneu, wie einen glücklichen Fund zu bestätigen: »Effi Briest ist sehr hübsch, weil viele e und i darin sind; das sind die beiden feinsten Vokale.« Sonst aber brachte er nach dem Mord nichts als Schweigen mit, hatte sogar sein je nach Saison abgestimmtes Blumengebinde vergessen und saß verloren oder, besser, wie aus dem Text gefallen in unserem Besuchersessel. Erst als ihm der Archivleiter Mitgefühl versicherte, sagte er: »Man konnte in ihm einen Freund sehen« und rief sogleich, als suchte er Halt, sein schottisches Idol auf: »Während Walter Scott an ›Woodstock‹ schrieb, starb Lady Scott; er ging eine Stunde im Garten auf und ab und schrieb dann ein Kapitel. So muß es sein.« Fonty lag kein unfertiges Manuskript vor. Seine Denkschrift war abgelehnt worden. Zwar wollte er immer noch ein Fragment des Unsterblichen, das »Likedeeler«-Projekt, als balladeskes Epos vollenden, aber es blieb bei der Absicht. Nur eine einzige Arbeit war ihm aufgetragen, die Fahndung nach etwas, das sich verschämt oder tückisch verborgen hielt: Ab Ende April, den Mai über und bis in den Juni hinein suchte der freie Mitarbeiter der Treuhandanstalt Theo Wuttke ein passendes und zugleich mildtätiges, ein nicht schroffes oder gar abstoßendes, vielmehr ein schmeichelnd vom Wohllaut getragenes, ein neues Wort für die durch Gesetz angeordnete Tätigkeit des Abwickelns. Mit dieser Findung sollte die Öffentlichkeit bedient werden. Kein Schmusewort war gewünscht, aber doch ein Ersatz, der dem so häßlich benannten Vorgang zu freundlichem Klang verhelfen sollte. »Hübsch muß es klingen«, sagte er zu uns. »Wenn irgend möglich, dürfen die im Titel ›Effi Briest‹ belobigten ›beiden feinsten Vokale‹ nicht fehlen.«
    Wir hätten Fonty gerne zugearbeitet, zumal auch wir zeitweilig in Gefahr standen, als unrentables Relikt einfach »abgewickelt« zu werden, doch im Archiv fanden sich keine tauglichen Ersatzwörter, und die aus den Kriegsbüchern heraussortierten Fundstücke »dezimieren« und »niederkartätschen« hätten die Abwickelei nur verschlimmbessert. Erwägenswert wären allenfalls Zitate aus dem Bereich gärtnerischer Arbeit gewesen. Nicht nur in der Dörrschen Gärtnerei, im Prosawerk insgesamt hätten sich Tätigkeiten finden lassen wie »beschneiden, zurechtstutzen« oder – aufs Unkraut bezogen – »jäten«. Nachdem er, zitatsicherer als wir, bei sich zu Rate gegangen war und einsehen mußte, wie wenig das Archiv zu bieten hatte, rief er uns nicht mehr um Hilfe an. Fonty saß in seinem Zimmer die Dienststunden ab oder lief zwischen Sofa und Schreibtisch hin und her, den Kopf gesenkt, als wäre dem kackbraunen Kokosläufer das fehlende Wort abzulesen. Nebenbei und um nicht ganz und gar auf das anstößige Verb fixiert zu sein, entwarf er aus freien Stücken ein Kontrastprogramm, denn beim Besuch der sitzenden Bronze hatte er einen Gedanken gefaßt, der ihn nun zum Entwurf buntkolorierter Bilderbögen inspirierte. Er schlug der Treuhand vor, ihre schwer faßliche Praxis aufklärend unters Volk zu bringen. Tüchtige Lithographen sollten einfache Bildgeschichten vom Stein weg drucken, damit diese in Massenauflage verbreitet werden könnten. Ohne Auftrag schrieb er mit fliegendem Blei: »Rückbesinnung auf Neuruppin! Nur so kann die verflixte Abwickelei, bis sich ein besseres Wort findet, zu Ansehen kommen. Selbst die Brennessel läßt sich genießbar zubereiten. Einzig die Mache entscheidet, und außerdem wäre das Medium Botschaft genug. Schließlich sind mit Hilfe der Neuruppiner Bilderbögen weit schlimmere Geschichten geschönt worden. Zum Beispiel ließe sich ein Zwickauer Bogen entwerfen, auf dem die tragikomische Passion des Trabi von einer Leidensstation zur nächsten abläuft, doch endlich, mit Hilfe eines Prinzen namens VW, einen märchenhaft glücklichen Ausgang findet …« Dann war er wieder auf Wortsuche. Vom Fenster aus tastete er den Himmel über der Treuhand ab, fand aber nur Wolkiges. Dann und wann überraschte ihn Helma Frühauf mit besonders prächtigen Topfpflanzen, einer Azalee oder mit einem dreifarbigen Steinbrech; doch nie erfreute sie ihn mit dem versprochenen Heliotrop. Gegen Mitte Mai kam sie nach Dienstschluß nicht etwa als Putzfrau, sondern ohne

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