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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Nimptsch. Doch mit Frau Jolles war Fonty der Meinung: »Mathilde Möhring ist nicht zu verachten, sie hat zwar nicht den Charme der anderen weiblichen Gestalten, aber sie hat den praktischen Sinn, den wir brauchen, und sie meistert das Leben …« Weil aber Mathilde das Attraktive fehlte, waren sich beide einig, daß in Deutschlands neuen Gründerjahren nur eine der vielen literarischen Personen das Zeug zur Schutzpatronin haben könne: »Frau Jenny Treibel ist diejenige, die uns den Weg zeigt, denn sie hat es geschafft, Geld und Poesie zu verbinden!« Wollte uns Fonty diesen Rat, mit Zustimmung des Unsterblichen, als Abschiedsgeschenk hinterlassen? Plötzlich wechselte unser Gast das Thema. Ein wenig kokett gab er zu bedenken, daß der Major a. D. Dubslav von Stechlin, den man immer den alten Stechlin nenne, schon mit siebenundsechzig abgenippelt sei; da komme er sich vergleichsweise unternehmungslustig vor: »Dubslav hat, weil er an Preußen hing, seinem Engelke verboten, an die schwarzweiße Flagge auf dem Aussichtsturm einen roten Streifen zu nähen; doch ich möchte überall die Europafahne hissen: Weg mit den Grenzpfosten! Runter mit den nationalen Lappen! Europa kommt – und sei es als Mißgeburt!« Dann verriet er uns Neuestes vom Stechlinsee: »Sie wissen ja, wenn es draußen in der Welt, sei’s auf Island, sei’s auf Java, zu rollen und zu grollen beginnt, dann regt er sich, und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. So kürzlich noch, als auf der Philippineninsel Luzon der Pinatubo ausbrach. Zufällig befand ich mich in der Hauptstadt der Grafschaft Ruppin, um nach der Besichtigung einiger Denkmäler -Schinkel, Marx und so weiter – dem nun wieder zugänglichen Stechlinsee einen Besuch abzustatten.
    Da fing er zu sprudeln an. Mein Begleiter -nicht gerade ein Held – erschrak ordentlich, als nicht nur der Wasserstrahl stieg, wie er es häufig tut, sondern nun auch ein roter Hahn über den aufgewühlten Wassern mit den Flügeln schlug und in die Lande hinein krähte.« Fonty wartete die Wirkung seiner Anekdote ab. Dann nahm er uns einzeln in den Blick und sagte: »Das ist ein Fingerzeig, meine Herren! Sehe zwar das zur Zeit verrückt spielende Klima für bloßen Zufall an – aber dennoch: Unser alter Erdball beginnt zu rumoren, als möchte er uns abschütteln, als seien wir Menschen ihm lästig geworden. Na, wenn nicht die Herren, dann haben Sie, mein verehrtes Fräulein, mich gewiß richtig verstanden. Kassensturz! Es ist hohe Zeit, Abschied zu nehmen.« Und zugegeben, ich teilte seine Befürchtungen und sagte: »Aber was sollen wir machen, Fonty? Den Krempel hinschmeißen? Einfach abhauen? Und wohin, bitte?«
    Er ging. Doch bevor er uns mit der neuesten Nachricht vom Stechlinsee allein ließ, sagte er im gewohnten Bummelton: »Übrigens hat die Treuhand einen Wettbewerb ausgeschrieben. Gesucht wird noch immer das bessere Wort für das leidige ›Abwickeln‹. Jeder kann sich beteiligen. Warum nicht das Archiv, zumal es in Geldnöten steckt und dem Gewinner ein ziemlicher Batzen sicher ist. Hängt doch alles am Geld, nicht wahr?«
    Wo hat er die Stahlfeder ins Tintenfaß getaucht? Im kleinen Café in der Potsdamer Straße, der Hausnummer 134c gegenüber? Oder in den Offenbach-Stuben, bei Salzmandeln und einem Glas Rotwein? Ohne geschrieben zu haben, wollte Fonty nicht abgehen. Sich wortlos davonzumachen wäre nicht seine Sache gewesen, zudem hatte er ein Dutzend und mehr Briefe im Kopf. Hätte er etwa auf einer Tiergartenbank, das Tintenfaß neben sich, gleich nach dem gekritzelten Bleistiftentwurf zur Reinschrift, zu ausschweifenden Schleifen, schmückenden Girlanden und den fast geschlossenen Bögen überm u kommen sollen? Weil seine Abschiedsworte zwischen furchtbar richtigen Sentenzen und viel gärtnerischem Rankenwerk versteckt stehen, hat er wohl doch sein gekündigtes Dienstzimmer benutzt; während der letzten Tage, bevor es ihm besenrein verlorenging, schrieb Fonty dort Brief nach Brief. Auf vier Blatt, beidseitig mit Bleistift gefüllt, lag bereits angefangen eine Epistel an Professor Freundlich vor, die nun ohne Adressaten war. Ein Vergleich macht deutlich, daß er Passagen aus diesem Entwurf, zum Beispiel die Anspielung auf die Zimmerpalme und deren Bezug zu »L’Adultera«, in einen Brief aufgenommen hat, den er seiner Enkeltochter schrieb: »Mir steht an der nur mäßig beschienenen Sonnenwand meiner bislang windstillen Klause eine Dattelpalme gegenüber, genau

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