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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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und ließen weder von Fonty noch von dem anderen Erwachsenen ab.
    Hoftaller wollte rauchen, durfte aber nicht. Fonty bot ihm seinen Saftbecher an.
Nach drei Schlucken war die Erfrischung weg. Nun verging nur noch Zeit.
    Gleichgültig, wer das Gespräch eröffnete, sie sprachen eine gute Stunde lang miteinander. Schließlich sprach nur noch Hoftaller. Andere Maschinen wurden aufgerufen und abgefertigt: nach Rom über Milano, nach Paris. Fonty saß stockgerade, um Haltung bemüht. Manchmal hob er die Hände, ließ sie wieder sinken. Mehrmals schüttelte er langsam den Kopf. Einmal sah man ihn nicken. Und nur einmal wurde er laut: »Ist mir bekannt, diese Phrase!«
    Für einen Moment wendete er sein barhäuptiges Greisengesicht und lächelte der entfernt sitzenden Agnes zu, die nicht zurücklächelte. Dann war er wieder nur für Hoftaller da. Sein Strohhut lag auf einem freien Stuhl, an den der Bambusstock gelehnt stand. Seinem äußeren Anblick nach hätte man ihn so noch kürzlich in der Potsdamer Straße, im Tiergarten, am Gendarmenmarkt oder vorm Bahnhof Zoo sehen können: Alles in allem wirkte er gestrig. Die Leute guckten ihm nach und grinsten; und im Flughafenbistro drehte man auf den Barhockern die Köpfe in seine Richtung. Er fiel mehr auf als der Sikh mit Turban und das pummelige Kind mit der Puppe. Als der Flug nach London endlich aufgerufen wurde und sich die Passagiere vor dem Schalter versammelten, kam Agnes auf die beiden Erwachsenen, die sitzen geblieben waren, mit strammen, ein wenig xigen Beinen zu. Jetzt erst bemerkte Fonty, daß sie zu roten Strümpfen schwarze Lackschuhe trug. Das Kind sagte, an Hoftaller vorbei: »Hab ich mir schon gedacht. War wieder mal falscher Alarm. Ist jedenfalls besser, als wenn was passiert. Und nun fliegen wir ja.« Fonty, der aufstehen wollte, aber dann sitzen blieb, sagte: »Ich kann nicht, Agnes. Oder ich darf nicht, noch nicht. Vielleicht später einmal …«
    »Aber du bist doch erwachsen. Und Erwachsene dürfen doch immer, weißt du …«
»Ich nicht. Oder nur manchmal, ausnahmsweise.« Agnes sagte nichts mehr. Als sie in Richtung Schalter ging, ließ sie links am steifen Arm die Puppe baumeln, so daß deren lange Beine und des Kindes Lackschuhe über den Boden der Abflughalle schleiften.
Die Frage, auf welchen Druck hin oder unter welchem besonderen Druck und warum insgesamt, falls er aus vielen Gründen unter Zwang stand, der Passagier Fonty den von uns gebuchten Flug nach London hatte stornieren müssen, ist dem Archiv noch lange für Antworten offengeblieben. Selbst wenn einer von uns nicht dichtgehalten hätte, wären wir durch diesen Verrat zwar anrüchig, aber nicht klüger geworden. Was uns zugetragen wurde, erlaubte keine schlüssige Antwort, weshalb wir mittlerweile der Meinung sind, daß verschiedene Gründe zur Rückgabe seines Gepäcks geführt haben. Der extra für diese Reise gekaufte Leichtmetallkoffer wurde ihm allerdings erst zwei Tage später, nachdem er von London zurückgefunden hatte, in die Kollwitzstraße geliefert. Nach Abzug der üblichen Gebühren hat man ihm – über uns -sogar den Flugpreis erstattet. Groß waren die Unkosten der verpatzten Reise kaum, doch soviel ist sicher: Danach ist Fonty, wenn auch nicht äußerlich, ein anderer gewesen. Hoftaller hat ihn in mehreren Anläufen beschwatzt. Zuerst wird er jene absurde, aber in sich schlüssige Geschichte aufgetischt haben, nach der sich Theo Wuttke als des Unsterblichen Ururenkel begreifen durfte. Die alte Dresdner Geschichte kam wieder einmal hoch, jene Ruderpartien mit der Gärtnerstochter Magdalena Strehlenow, die Lenau-Gedichte, der Freiheitsdurst, Mondscheingeschichten und deren Folgen: ein dem jungen Apotheker seit dem Sommer 1843 Alimente abforderndes Kind namens Mathilde.
Und diese Mathilde Strehlenow soll 1864, zur Zeit des Krieges gegen Dänemark, aus dem das erste der Kriegsbücher resultierte, einen, wie Hoftaller auf Befragen sagte, ziemlich verbummelten, aus Konitz in Westpreußen stammenden Referendar namens August Wuttke geheiratet haben, der bald nach der Geburt eines Sohns -Fontys Großvater und des Unsterblichen Enkelsohn Friedrich infolge einer Lungenentzündung gestorben ist. Das war gegen Ende des Krieges gegen Österreich und nachdem es August Wuttke in Rheinsberg gerade noch zum Assessor gebracht hatte. Die tüchtige Mathilde verhalf dem Sohn zu guter Ausbildung. Und schon im Dreikaiserjahr heiratete Friedrich Wuttke, nachdem er in Gransee bei der Firma

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