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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Hirschfeld, Vater und Sohn, zum Hauptverkäufer auf gestiegen war, eine Lehrerstochter namens Marie Duval, offenbar hugenottischer Herkunft; Hoftaller konnte uns die Kopie eines Trauscheins vorlegen. Und aus dieser Ehe ist, zwischen anderen Kindern und kurz vor des Kaisers Depesche an Ohm Krüger, Max Wuttke hervorgegangen, der zugleich als des Unsterblichen Urenkel und Fontys Vater anzusehen ist. Das geschah bald nach dem Umzug der Familie nach Neuruppin, wo sich Friedrich Wuttke als Holzhändler selbständig gemacht hatte, aber bald pleite ging. Sein Sohn Max erlernte den Beruf des Steindruckers, wurde ab 1915 Soldat, überlebte als Unteroffizier sogar den Gaskrieg, kehrte mit den Resten des Infanterieregiments Nr. 24 nach Neuruppin zurück, wo er sogleich die Tochter eines vor Verdun gefallenen Oberleutnants heiratete. Noch vor der Tochter Liselotte schenkte ihm Luise Wuttke, geborene Fraissenet, einen Sohn, Theo gerufen, des Unsterblichen Ururenkel, unseren Fonty, dessen einzige Schwester, Tante Liselotte, bereits seit Mitte der achtziger Jahre auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf liegt.
Und diese haarsträubend geradlinige Geschichte soll den entfernten Verwandten ob sie nun stimmt oder nicht bewogen haben, nach dem falschen Bombenalarm auf seinen gebuchten Flug zu verzichten? Wir können das nicht glauben. Wahrscheinlicher ist: Hoftaller hat die Linie fortgesetzt und den Ur-ur-urenkel aus Dresdner Linie, den Ministerialrat im Verteidigungsministerium Teddy Wuttke, ins Spiel gebracht, wobei er nicht lange drohen mußte. Bestimmt hat mehr als der Hinweis »Wir können auch anders!« eine erweiterte Auskunft zum Verzicht auf die Flugreise geführt: Einzig um Vater und Mutter vor Strafe zu schützen, sei Teddy zum Informanten geworden. Nur aus Sorge um die Eltern habe er sein mehr oder weniger geheimes Fachwissen in kleinen Portionen preisgegeben. Einen besseren Sohn finde man nicht. »Stellen Sie sich vor«, hätte Hoftaller sagen können, »Teddy wäre, anders als sein gutwilliger Bruder, der Pilot Georg, bockbeinig gewesen, ein Egoist, der sich gesagt hätte: Was kümmert mich die Lage meiner Familie? Von mir aus können die meinen Vater, diesen Spinner, in die Produktion stecken, meinetwegen kann man meine Schwester aus der Partei kegeln, sogar in Bautzen einbuchten und meine Mutter …« So könnte es gewesen sein. Und wenn nicht, dann hat die im Flughafenbistro von Hoftaller aufgetischte Meldung von Emmi Wuttkes Selbstmordversuch Wirkung gezeigt. Sie habe, kaum sei Fonty mit Hut, Stock und Koffer gegangen, Tabletten genommen, eine ganze Handvoll. Zum Glück habe die Tochter Martha, gleich nach Erhalt des väterlichen Abschiedsbriefes, Schwerin verlassen. Gerade noch rechtzeitig habe sie, unterstützt von der Nachbarin Scherwinski, Erste Hilfe leisten können. »Natürlich mußte man Ihrer Emmi in der Charité den Magen auspumpen. Doch hat man mir grad vorhin noch am Telefon versichert, daß es ihr, den Umständen entsprechend, leidlich gutgeht. Mensch, Fonty! Sie waren wohl nicht bei Trost. Gut, daß ich nen Tip bekommen habe. Ihre Emmi wird Jedenfalls froh sein, wenn sie ihren Wuttke möglichst bald zurückhat.« Das reichte. Und wenn es nicht gereicht hätte, wäre Hoftallers Versprechen, er werde versuchen, die angeordnete Räumung des Dienstzimmers, wenn nicht rückgängig zu machen, dann aufzuschieben, von Gewicht gewesen. Er sagte: »Außerdem zeichnet sich ne neue Perspektive ab. Im Auftrag der Treuhandanstalt sollen Sie mit interessierten Investoren ehemalige Schlösser und Herrensitze besichtigen. Hierhin ne Rundreise, dahin. Man baut auf Ihre sachkundige Führung. Die Leute von der Treuhand wissen, daß Ihnen dort alles bis in den letzten Winkel hinein vertraut ist. Soll ne Art Wiederbelebung der Wanderungen durch die Mark werden. Wir sind sicher, daß die zu animierenden Käufer Ihre historischen und oft in Anekdoten versteckten Kenntnisse schätzen werden. Das ist doch was, Fonty! Da ist Zukunft drin. Ab in die Mark! Nicht London, Schloß Kossenblatt steht auf dem Programm. Spreewaldfahrten, die Ruppiner Schweiz, Havelschwäne, märkische Wälder und Forsten. Und überall ne Menge Spuk- und Gespenstergeschichten. Reisen dürfen Sie, Fonty, von Schloß zu Schloß!«
So gelang es Hoftaller, Fonty abzuschleppen. Man muß das wörtlich nehmen. Kaum hatten sie die Paßkontrolle hinter sich, machte Fonty schlapp. Mehrmals knickte er weg, japste nach Luft. Mit Hoftallers Unterstützung ging es bis vor das

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