Ein weites Feld
Ein Genie? Das war der Schwefelgelbe auch. Sogar ein genial mogelndes Genie. Nein! In der Potsdamer haben wir und der Jude Neumann, der uns gegenüber wohnte, nie auf Bismarcks Geburtstag geflaggt, weshalb ich noch immer, Arm in Arm mit Neumann, mein Jahrhundert in die Schranken fordere, auch wenn ich, kaum waren wir glücklich gelandet – und das Kind Agnes bei seiner Mutter – zu James Morris, der mit Frau Professor Jolles gleich hinterm Zoll stand, gesagt habe: Die letzte Rolle, die zu spielen ich geneigt sein könnte, ist die des Kriegsberserkers. Aber die Schicksale nehmen ihren Lauf, und etwa am nächsten Säkulartag von Trafalgar oder nicht sehr viel später werden wir einen großen Krach haben, wogegen der Golfkrieg ein Klacks … Denn der Stechlinsee hat kürzlich mit einem Wasserstrahl … Und weil meine Mete mit einem furchtbar rappschigen Schloßaufkäufer … Und in Jena Professor Freundlich, obgleich ich ihm schrieb: Weg mit der Pistole! Ridikül ist das! Da hätte sich eher der Chef der Treuhand … Aber dem kam eine andere Person zuvor …«
Das alles hörte sich Hoftaller als Krankenpfleger an. Uns sagte er später: »Ein einziges Kuddelmuddel. Sogar um eine Staatspension hat er gebettelt, gleich ob vom preußischen oder vom Arbeiter- und Bauern-Staat ausgezahlt. Ich hab nicht viel dazu gesagt, nur seine rechte Hand gehalten und ab und zu bißchen getätschelt. Aber ganz zum Schluß – doch da gab’s keinen Schluß, nur Pausen – hab ich es mit Gutzureden versucht: Geht in Ordnung, Fonty. Das kriegen wir hin mit der Staatspension. Weiß man doch, daß Sie immer loyal gewesen sind. Das bißchen Aufmucken gehörte dazu …« Soviel Geduld hatte Hoftaller. Und als dem Kranken weitere Lebensphasen aufleuchteten, um von anderen gelöscht zu werden, die wiederum nur kurz flackerten, blieb er ganz Ohr und vergaß dabei nicht, des Fiebrigen Hand -immer wieder die rechte – zu streicheln; so zärtlich ging er mit seinem Pflegefall um, daß wir uns schämen mußten, weit weg, aus der Distanz des Archivs. Deshalb soll hier nichts ausgelassen werden, so wirr uns Fontys Fieberreden vorliegen. Wenn er soeben noch unter der Zwölfjahreslast seiner Kriegsbücher stöhnte und sich mit dem Verleger Decker anlegte, den er als »knickrigen Ruppsack« beschimpfte, flehte er ihn mit nächstem Satz an: »Wenn. Sie mir jetzt schon weitere dreihundertfünfzig Taler zahlen wollten …« Und gleich darauf steckte er ganz übergangslos inmitten Familienangelegenheiten, indem er seinem Sohn Theo, der jüngst das Abitur geschafft hatte, gratulierte – »Du bist der erste Primus omnium der Familie« –, um ihn gleichzeitig als Sohn Teddy und Beamten auf Bonns Hardthöhe vor der drohenden Aufklärung langjähriger Informantentätigkeit zu warnen: »Auf Dauer kann ich dich nicht mehr schützen … Mein Leib- und Magenspitzel könnte … Irgendwann fliegt dein nicht gerade sauberer Handel auf … Nie hättest du dich für uns so heldenmütig aufopfern dürfen … Verrat bleibt Verrat … Schlimm genug, sagt Mama, daß schon Georg als Fliegerhauptmann sein militärisches Geheimwissen …« Dann war sein verlegerisch tätiger Sohn Friedel dran. Kaum hatte er ihm die »Poggenpuhls« zum Druck freigegeben, verspottete er den Wuppertaler Verleger und dessen fromme Traktate: »Was heißt hier, Helden zu Gott führen? Fand es kolossal anmaßend, als ein Schusterssohn aus Herrnhut 400 Millionen Chinesen bekehren wollte, und nun willst du es in deinem Missionseifer mit weit über einer Milliarde aufnehmen und so die gelbe Gefahr aufs christliche Gleis bringen …« Dann haderte er mit Mete: »Warum klagst du dir lauter Fehlposten ein? Eigentlich ist es ein Glück, ein Leben lang an einer Sehnsucht zu lutschen …« Und erst, nachdem er »wegen der lästigen Akademiesache« mit Emilie zu streiten begonnen hatte – »Heute endlich hat der Kaiser meine Entlassung genehmigt. Im ersten Augenblicke war es mir deinetwegen leid. Aber enfin, es muß auch so gehn …« –, fiel er, erschöpft von Rede und Widerrede, in tonlosen Schlaf. Wir sehen keinen Grund zu verschweigen, wie er seinen Krankenpfleger beschimpft hat und in Hoftaller den Polizeirat Reiff oder jenen dänischen Sicherheitsassessor zu erkennen glaubte, auf den der arme Holk in »Unwiederbringlich« so eifersüchtig war: »Nun geben Sie schon zu, daß Sie die schöne Brigitte Hansen auf Ihrer Informantenliste führen. Was heißt hier, das ist echt Kopenhagensch, das war schon
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