Ein weites Feld
immer so. Jedenfalls haben Sie, trotz aller scheinheiligen Tricks, Melanie nicht aushorchen können, denn als Rubehn nach Hause kam, roch er sogleich Ihren Pestgestank und warnte vor näherem Umgang …« Hoftaller nahm das hin. Lächelnd, als wollte er von einem kranken Kind berichten, sagte er uns: »Und stellen Sie sich vor: Schließlich sind ihm auf seinen Fieberreisen das alte Fräulein Mathilde von Rohr und Frau Professor Jolles zu einer einzigen Person und Beichtmutter verschmolzen. Wenn er bei der einen seinen ganzen Jammer abgelassen hat – ›Meine Frau wäre eine vorzügliche Prediger-oder Beamtenfrau in einer gut und sicher dotierten Stelle geworden …‹ –, gestand er der anderen: ›Meine Emilie ist, wie ich einräumen muß, nicht darauf eingerichtet, mit mir ein Leben am Abgrund hin zu führen, weshalb wir uns trennen sollten. Doch als ich mir kürzlich, des ewigen Jammers müde, von unseren gemeinsamen Archivfreunden einen Flug nach London buchen ließ und ihr beim Frühstück sagte: Meine liebe Frau, ich habe nicht nur der Akademie Lebewohl gesagt, vielmehr gehe ich auf immer, rief sie und lachte dabei: Fahr nur, fahr und bring mir was Hübsches mit …‹« Immer auf Trab vergingen Hoftaller die Tage und Wochen. So gern er dem Fiebernden zuhörte, mußte er doch mit dem anderen Ohr auf dem Sprung sein. Durch die halboffene Tür zur Küche hin erreichte ihn Emmis Gejammer oder Marthas herrischer Ruf: »Ist denn niemand mehr da?!« Er sorgte mit Eisbeuteln und Wadenwickeln. Die Nachttöpfe zu leeren gehörte zum Morgenprogramm. Er maß Fieber, wechselte die Laken, schüttelte die Betten auf, brachte die Kopfkissen, nach Wunsch, in richtige Lage. Da jeder Lichtstrahl Martha schmerzte, verdunkelte er ihre Mädchenkammer so fugendicht, daß sie wie in ewiger Nacht lag, und wenn er sie aufsuchte, um das kühlende Stirntuch zu wechseln, huschte er auf Strümpfen. Ganz anders kümmerte sich Hoftaller um Emmi. Er hatte ihr aus dem Poggenpuhlschen Salon einen der Medaillonsessel in die Küche geschleppt, damit sie beim abendlichen Fernsehgenuß in eine Decke gehüllt und bequem saß. Und für die Nachbarin, die den Einkauf besorgte und ihn manchmal – »Auf ein Stündchen nur« – vertrat, wenn er dringender Besorgungen wegen außer Haus war – »brauche ein zwei Sachbücher« –, fielen ihm freundliche Worte ein: »Wollen Sie, bitte, so gut sein, an die Zeitungen, den ›Tagesspiegel‹, die ›Wochenpost‹, zu denken. Und wenn es nicht zuviel verlangt ist, bitte ich um nen Sechserpack Schultheiß. Ach, liebe Frau Scherwinski, Sie ahnen gar nicht, wie dankbar wir Ihnen sind. Nen Orden müßten Sie kriegen.« Wir vom Archiv hätten nicht besser für unseren Freund sorgen können, der die Nervenleiden des Unsterblichen so mustergültig ertrug, als wollte er uns mit jedem Fieberschub dessen lebenslange Schwäche anschaulich machen. Einige Male waren wir, nicht alle, nur als Zweierdelegation, auf Besuch. Die blitzblanke Küche fiel auf. Und einer von uns bemerkte auf dem Tisch ein Fremdsprachenlehrbuch, zudem ein Diarium und ein Vokabelheft, wie griffbereit eine Brille. Auf unsere Frage sagte Hoftaller: »Nun ja, man hat Lücken. Man muß sich weiterbilden. Und da meine Nachtwachen sich hinziehen, bleibt sogar einiges hängen: se habla español …« Mit Fonty war natürlich, im Sinn von Gespräch, nicht zu reden, doch durften wir Zeuge seiner Fieberphantasien sein. Dabei ergaben sich unerhörte, die Grenzen unseres Fach-Wissens sprengende Einsichten. Wir waren sicher, das Entstehen einiger Werke in bisher nicht überlieferten Textvarianten zu erleben. Mal glaubte er, auf der Bettdecke das Manuskript von »L’Adultera« vor sich zu haben, auf dessen Rückseite bereits beendete Novellen wie »Grete Minde« und »Ellernklipp« handschriftlich überliefert sind, dann war es der Aufsatz über Friedrich des Zweiten Jugendfreund Katte, in dessen Reinschrift von Emilies Hand er Korrekturen eintragen wollte; mehr noch, Fonty beschloß mit fliegender Schreibhand bis Mitte des nächsten Monats eine Neufassung zu Papier zu bringen, stand doch für den 17. August die Heimkehr der königlichen Gebeine auf offiziellem Programm: Vater und Sohn, der erste Friedrich Wilhelm, auch Soldatenkönig genannt, sowie die sterblichen Reste des Alten Fritz sollten umgebettet werden. Und diesem Tag und Ereignis fieberte Fonty entgegen: »Muß in Potsdam dabeisein! Werde bis dahin meinen Katte-Aufsatz auf neuesten Stand bringen,
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