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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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denn Preußen, das ist Kattes Hinrichtung als pädagogischer Akt. Will ich sehen, diesen inszenierten Witz, womöglich mit Zapfenstreich und ähnlichem Mumpitz …« Aber nicht nur »Katte aus heutiger Sicht«, auch andere Neufassungen gewannen in seinen fiebrigen Delirien teils absurde, teils verblüffend überzeugende Konturen. So schimpfte er den Schluß des Romans »Graf Petöfy« als »entsagungsvoll fade und religiös verschwiemelt«, weshalb er der Romanheldin Franziska, wenn sie denn schon aus einer Hafenstadt stamme, vorschlagen wollte, nach dem Selbstmord des alten Grafen als reiche Witwe die Rückkehr aus Ungarn vorzubereiten und nach Ablauf des Trauerjahrs entweder in Berlin einen Schauspieldirektor oder, besser, in Stralsund einen Schiffskapitän zu heiraten. »Schluß mit dem österreichischungarischen Operettenmilleu!« rief er. »Raus aus dem katholischen Beichtstuhl und rein in die lutherische Ordnungsanstalt, Ehe genannt!« Gleichfalls fielen ihm zu ›Irrungen, Wirrungen« fiebrige Varianten ein. Auf Adel und Kreuzzeitung sollte keine Rücksicht genommen werden: »Weg mit den Standesbarrieren!« Nach neuester Handlung mußte Lene Nimptsch nicht den biederen Konventikler und Stehkragenproleten Gideon Franke heiraten, sondern kriegte ihren Botho von Rienäcker, der auf die adlige, aber strohdumm kichrige Käthe pfiff. Fonty geriet in Feuer: »Nicht verzichten, Lene! Zupacken! Der vierte Stand nimmt sich, wonach ihm das Herz ist …« Noch radikaler ging er mit Effi um: »Zweifelsohne! Es ist die Mutter, die kupplerisch diese üble Geschichte eingefädelt hat. Sie soll am Ende büßen, von mir aus nach Dobbertin in das Stift gehen, während der alte Briest mit Tochter und Enkelkind eine weite Reise macht, nein, nicht nach Italien, nach China, damit der Spuk ein Ende findet. Und auf dem Dampfschiff mit zwei Schornsteinen und langer Rauchfahne, zu dessen Passagieren ein holländischer Gewürzhändler gehört, begegnen sich beim Dinner so zufällig wie folgerichtig die Hochzeitsreisenden Botho und Lene von Rienäcker mit den Briests, wobei der Alte, ermuntert durch Effi, endlich zu seiner Tischrede kommt, in deren Verlauf die Verlobung seiner Tochter mit Mynheer Koeneman als bürgerliches Ereignis bekanntgemacht wird. Und später plaudern alle, wie ihnen zumute ist …« Fonty hat sich für diesen Romanschluß bei steigendem, wieder auf 40 Grad kletterndem Fieber begeistert: »Gut, daß Lene dabei ist und Arm in Arm mit Effi auf dem Schiffsdeck flaniert. Übrigens sieht man später die beiden in Hongkong beim Einkaufsbummel … Räucherstäbe, Lackkästchen, Seide …« Er freute sich auf den Vorabdruck in der Vossischen, die schon mit dem Original von »Irrungen, Wirrungen« Ärger bekommen hatte. Die Empörung des Hauptaktionärs Lessing, »Wird denn die gräßliche Hurengeschichte nicht bald aufhören«, hat er zitiert und seinen Spott draufgesetzt: »Nein, Herr Geheimrat, sie geht sogar glücklich weiter. Meine Lene hat das verdient. Das bin ich ihr schuldig seit Dresdner Apothekertagen. Und meine Madeleine, deren Kritik oft von zartbittrem Geschmack ist, wird sich an diesem blitzneuen, alle Prinzipienreiter vom Roß stoßenden Schluß erfreuen, zumal nun auch Effi, das arme Luder …« Wir vom Archiv geben zu, daß Fontys Fiebervariationen einiges für sich hatten. »Effis Glück« schien ausreichend motiviert zu sein, denn Crampas und Innstetten hatten sich
-nach des Kranken Willen -gegenseitig erschossen; der wiederverheirateten Witwe »bis ins hohe Alter heiteres Wesen« erfreute uns. Sogar Hoftaller war beeindruckt von dem, wie er sagte, »etwas verspäteten Perspektivwechsel des Unsterblichen«. Überhaupt genoß er seine Rolle als Krankenpfleger und genierte sich nicht, uns mit vor den Bauch gebundener Küchenschürze in sozusagen klinischem Weiß zu empfangen. Ein wenig übertrieben begeistert sprach er vom »fürsorglichen Dienst rund um die Uhr«, und selbst wenn er einräumte, daß ihm die beiden Frauen mehr Mühe als Fonty bereitet hätten, war er voller Verständnis: »Man muß Frau Wuttke begreifen lernen, gleichfalls die Tochter. Leicht haben es beide bestimmt nicht gehabt. Der Alte kann ziemlich unerträglich werden. Oft hat nur mein leiser Hinweis auf ne geschlossene Anstalt helfen können. Besonders schlimm wurde es für Emmi und Martha, als die drei Söhne im Westen blieben. Man hat die Wuttkes immer neuen Schikanen ausgesetzt. Na, wegen massiver Republikflucht … Muß mir heute

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