Ein weites Feld
im Unterschied zu den beiden Frauen, die verdüstert stumm oder apathisch in ihren Betten lagen, war Fonty ein mitteilsamer Kranker, das heißt, er sprach im Fieber, und Hoftaller rückte, sooft es ging, einen Stuhl neben den Fiebrigen; sogar als Krankenpfleger war er ein guter Zuhörer.
Viel gab das nicht her, bloße Phantasien ohne Anfang und Ende. Dennoch war dem hektischen Redefluß und mehr noch seinem im Bummelton vorgetragenen Geplauder eine Ordnung abzuhören, die freilich weder Raum noch Zeit achtete.
Anfangs fütterte der versäumte Englandflug des Kranken lamentolange Klage. All die verpaßten Sehenswürdigkeiten. ob Tate Gallery oder Westminster Abbey, wurden vorgeführt. Die Präraffaeliten und die Gemälde von Gainsborough und Turner, den er ein Genie ohne Nachfolge nannte. Dann brabbelte das Londoner Tagebuch vor sich hin: »Im Café Divan Brief an Glover geschrieben … Rüffel von Metzel … Im Covent Garden Konzert gehört, Hauptstück: The Fall of Sebastopol … Auf der Gesandtschaft Max Müller getroffen … Handel mit Glover vorläufig abgeschlossen … Brief für Merckel an Metzel geschickt … Sah Othello, die Desdemona vorzüglich … Nun jährlich zweitausend Reichstaler für ›Morning Chronicle‹ sicher …« Dann stand wieder Sightseeing auf dem Programm: mit und ohne Emilie, die nachgereist war und nun ihr Heimweh pflegte – »Für George ein scotch plaid gekauft …« Danach über die Themsebrücken zur Fleet Street oder in den Hyde Park und natürlich zum Trafalgar Square und weiter zum düsteren Tower. Und mit diesem Umschlagplatz englischer Geschichte kam sogleich wieder der Freund schwieriger Jahre, Bernhard von Lepel, ins fiebrige Spiel. Auf nach Schottland! Beide bereisten die Grafschaft Kinross, standen Seite an Seite am Ufer des Leven-Sees, sahen von dort aus, auf einer Insel gelegen, das DouglasSchloß Lochleven, und Fonty rief: »Schau, Lepel, so schön das Bild ist, das sich vor uns entrollt, aber ich frage mich, war denn der Tag minder schön, an dem ich auf dem Rheinsberger See ruderte und gleichfalls das Schloß sah …« Und schon befand er sich, wie in Schottland geplant, auf Wanderung durch die Mark Brandenburg, doch nunmehr gemischt mit der Aussicht, demnächst -und im Dienst der Treuhand – potente Käufer von Schloß zu Schloß führen zu müssen: »Aber das will ich nicht! Bin kein Ausverkäufer! Niemals werde ich diesen Raffkes die Grafschaft Ruppin, das Ländchen Friesack, den Oderbruch feilbieten …«
Dann wieder war England vordergründig, wo man ihm, gleich bei Ankunft in London, seine drei Bände »Vanity Fair«, samt Randglossen, beschlagnahmte. Ärger über Ärger. Kaum daß ihm der Cabkutscher durch seine Lieblingsstraße, Moorgate Street, zum Finsbury Square gebracht hatte, folgte er wieder den tagtäglichen Eintragungen: »Im Café Divan geplaudert … Bruch mit ›Morning Chronicle‹ endgültig … Habe Ingvessen angeworben … Briefe von Immermann beantwortet … Jetzt haben die Dänen auf mich, den preußischen Agenten, ihrerseits jemand angesetzt … Ein gewisser Edgar Bauer bespitzelt mich …« Und nach dem Sturz der Regierung schlug weiterer Verdruß durch, den sich wie immer Lepel anhören mußte: »… bin weder ein Kreuzzeitungs-Mensch noch ein Manteuffelianer, bin ganz einfach der, der ich bin, und dieser Mensch hat bloß keine Lust, Manteuffel unmittelbar nach dem Sturz anzugreifen, weil mir besagter Manteuffel, dessen Pech am Hintern und dessen Polizeiregime mir ein Greuel gewesen ist, persönlich nur Gutes getan hat, weshalb ich auch nicht anstehe, nun, da er weg ist, den Helden zu spielen und mein Mütchen am Arbeiter- und Bauern-Staat zu kühlen, in dem es mir gleichfalls, zumindest in Kulturbundzeiten, passabel ergangen ist, auch wenn mich diese ledernen Zensurbestimmungen … und mir die Söhne abhanden gekommen … und uns der Sinn verlustig … die Perspektive futsch … Die Hauptaufgabe nie gelöst … und alle Freude am Sozialismus bald verlorengegangen … So daß wir jetzt, nachdem die Geschichte rückläufig … Jadoch! Paraden sind geplant. Öffentliche Hinrichtungen werden simuliert. Überall kolossale Happigkeit! Und schon wieder ist es ein Ismus, an den geglaubt werden soll. Hofprediger von allen Kanzeln herab. Was aber meinen Glauben betrifft, war ich schon immer reif für Lex Heintze, weshalb ich zu Hauptmann und dessen ›Hanneles Himmelfahrt‹ gesagt habe: Über diese Engelmacherei könnte ich zwei Tage lang ulken.
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