Ein weites Feld
»Ich hab Zeit« auf längere Anwesenheit vorbereitet. Nun tickte die Uhr, und ab und zu rappelte der Kühlschrank. Zu uns hat Martha Grundmann später gesagt: »Na, der hat ziemlich verdattert geguckt, als ich ihn in der Küche sitzen ließ. War er nicht gewohnt, Krankenpflege und sowas. Hat bestimmt gedacht, ich rappel mich wieder in ein paar Stunden oder bißchen länger vielleicht. Hat sich aber dann hingezogen die Sache mit uns. Konnt er natürlich nicht wissen, als er ›Ich hab Zeit‹ gesagt hat. Und war bestimmt nicht einfach für ihn, drei Kranke und alle schwierig, auch wenn meine Freundin Inge eingekauft und ab und zu Hühnerbrühe auf Vorrat gekocht hat. Genau, konnt ihn eigentlich nicht ausstehen, na, weil er … Aber das wissen Sie ja. Und wenn er wegen nix vor sich hin gegrinst hat, hätt ich ihm sonstwas … Aber das muß man ihm lassen, war ganz rührend besorgt um uns, tage-, was sag ich, wochenlang …« Wir vom Archiv hörten nicht ohne Schadenfreude, was er uns später von einer Telefonzelle als seine neueste Tätigkeit durchgesagt hat: »Hätte nie gedacht, daß sowas rund um die Uhr läuft. Mit Fonty, das geht ja, aber Mutter und Tochter lassen kein bißchen Pause zu. Immer ne Menge Wünsche. Und immer muß es schnell gehn. Nein, brauch keine Hilfe, komm schon zurecht und schlaf in der Küche, so gut es geht. Aber nun muß ich Schluß machen, weil die Nachbarin gleich wieder wegwill, dringend, sagt sie, auf Ämter wegen Kindergeld oder sowas …« Nicht, daß er klagte, aber man ahnte die Anstrengung. Dennoch muß Hoftaller eine Neigung zur Krankenpflege verspürt, vielleicht sogar eine gewisse Verantwortung für die Wuttkes entdeckt haben, sprach er doch von »meinen Kranken« und von »meiner nicht immer einfachen Aufgabe«. Jedenfalls war Doktor Zöberlein mit seiner Fürsorge zufrieden. Uns gegenüber hat er von einem »Glücksfall« gesprochen. »Solch einen Hausfreund wünscht man sich.« Und als er sich Anfang Juli auf eine ihm endlich mögliche Bildungsreise ins westliche Ausland begab später, als die Poliklinik zumachen mußte, wechselte er ganz in den Westen –, konnte der Arzt sicher sein, daß die drei nicht pflegeleichten Patienten in guten Händen waren. Insgesamt mußte Hoftaller knapp vier Wochen lang helfen. Ein Klappbett, zurückgeblieben aus Notzeiten, das sich im Kohlenkeller fand, hatte er in die Küche gestellt, offenbar gewohnt, spartanisch zu leben. Jedenfalls stellten wir uns vor, daß Hoftallers Zuhause – denn irgendwo mußte er wohnhaft sein – nur karg möbliert war. In Tallhovers Biographie wird ein Haus und dessen Küche erwähnt, desgleichen ein Keller, in dem er sich, wenn auch vergeblich, zum Tode verurteilt hat, außerdem ist von einer alten Frau die Rede, die wöchentlich einmal putzte; mehr nicht, kein Bezirk, keine Straße. Aber wir vermuteten Hoftallers Adresse in den leicht zu verwechselnden Plattenbauten im Bezirk Marzahn oder in Berlin-Mitte, wo, als Hinterlassenschaft der Arbeiter- und Bauern-Macht, dicht bei dicht die Parteikader wohnten. Niemand von uns hat ihn jemals besucht. Selbst Fonty sprach sich nur vage aus: »Vermutlich haust mein Tagundnachtschatten in wechselnden Quartieren und mehr schlecht als recht. Keine Ahnung, wer für ihn sorgt. Von Frauen war bei ihm nie die Rede. Und kochen kann er bestimmt nicht. Kenne ihn nur mit Thermoskanne und Mettwurststullen in einer Blechdose, sein Proviant, wenn er Außendienst hatte …« Um so erstaunlicher war es, daß der Krankenpfleger Hoftaller schon bald, wenn auch nach Inge Scherwinskis Anweisungen, fähig war, für Schonkost zu sorgen, zum Beispiel für Haferschleim oder Hühnerbrühe, die er »jüdisches Penicillin« nannte. Später hat er sich sogar an leicht gewürztes Hackfleisch zu Salzkartoffeln und grünen Erbsen gewagt, offenbar mit Erfolg, denn Emmi Wuttke sagte: »Aber gekocht hat er prima. Hätt ich ihm nich zugetraut. Sogar Kalbsfrikassee zu Reis hat er hingekriegt, und einmal, als es mir schon bißchen besser ging, hat er nen Schweinebraten in die Röhre geschoben, war richtig knusprig die Schwarte. Und immer gleich abgewaschen hinterher. Sah tipptopp aus die Küche, wenn ich mal reinguckte, als ich wieder Appetit auf Fernsehen bekam, Lindenstraße und sowas …« Doch bis es soweit war, zogen sich betriebsame Tage und unruhige Nächte in die Länge. Fonty blieb fiebrig. Marthas Depressionen nahmen eher zu. Nur mit Emmi ging es, wenn auch langsam und unter Gejammer, bergauf. Doch
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