Ein weites Feld
werden konnte; das Archiv bewahrt ein Exemplar als Beleg auf Über der kommentierenden Zeile »Sieht der märkische Adel jetzt so aus?« hat man ihn vor sich, leibhaftig, wie er mit dem Wanderstock in rechter Hand ausschreitet. Der linke Arm ruht abgewinkelt hinterm Rücken. Ohne sein Schottenmuster zu betonen, fällt der oft zitierte Shawl lässig drapiert über die Schulter und reicht beiderseits abfallend bis zur Seitentasche des weiten Mantels. Beschattet von der geschwungenen Krempe des Künstlerhutes, schaut er über alles Nahe hinweg in die Ferne. Zum fusselnden Bart unter kühn geprägter Nase paßt das hinter den Ohren strähnig in den Nacken fallende Haar. Ein Bild, das einen Gutsherrn vortäuscht, entfernt sogar Bismarck im Sachsenwald oder Dubslav von Stechlin spiegelt, der angeblich Bismarck glich. Und deshalb stellt sich einem nur wenig entfernt treppab steigenden Bürgerpaar, dem zwei lärmende Kinder vorauslaufen, die offensichtlich neureiche Frage nach dem gegenwärtigen Aussehen des märkischen Adels. Das alles hat der Karikaturist Th. Th. Heine mit sicher gesetzten Konturen und nur sparsamer Binnenzeichnung zu Papier gebracht. Er wußte, wie vorgestrig der Unsterbliche den Tiergarten aufgesucht und dort belustigtes Erstaunen erregt hatte. Und wir wissen, daß nicht nur im »Stechlin« der Tiergarten Platz für Spaziergänge und Kutschfahrten bietet, sondern auch Waldemar von Haldern Ruhe verspricht: Der junge Graf, der nahbei in der Zeltenstraße wohnt, hat sich unter Tiergartenbäumen eine Bank gesucht, um dort zum Entschluß, dem endgültigen Verzicht auf Stine und dem Griff nach dem Revolver zu kommen: »Eine frische Brise ging und milderte die Hitze, von den Beeten aber kam ein feiner Duft von Reseda herüber, während drüben bei Kroll das Konzert eben anhob …« Den Krollschen Musikgarten und die später gebaute Kroll-Oper gibt es nicht mehr, vieles ist abgeräumt worden, doch dem Tiergarten gelang es immer wieder, sich zu erneuern. Fonty war Zeuge.
Sein Bild stand schon immer fest, und nur die Kunstlandschaft, in der er sich bewegte, war behutsam in Phasen oder gewaltig auf einen Schlag verändert worden. Bis zum Mauerbau lag der Tiergarten, trotz der Teilung der Stadt in Besatzungszonen, für Fonty offen, dann jedoch blieben die Wanderwege annähernd drei Jahrzehnte lang alljenen versperrt, für die, wie für ihn, der Ostteil Berlins als Hauptstadt der Arbeiter- und Bauern-Macht genug sein mußte. Nun staunte er, wie üppig sich die Neuanpflanzungen der Nachkriegsjahre in Höhe und Breite verästelt und verzweigt hatten. Die auf wüstem Gelände zuerst gepflanzten, weil schnellwüchsigen Pappeln und Erlen waren inzwischen Buchen und Eichen, Ahorn und Trauerweiden gewichen. Hier Einzelbäume auf dicht umsäumten Wiesen, dort hainartige Baumgruppen, dann wieder geschlossene Gehölze, Uferbepflanzungen, niedrig gehaltenes Gebüsch. Natürlich fehlten nicht die dem märkischen Boden heimischen Nadelbäume und Birken. Und die gesamte, vom Brandenburger Tor bis zum Landwehrkanal und dem dahinter liegenden Zoologischen Garten gestreckte Anlage war, wie vom Baumeister Lenné entworfen, von beiderseits bepflanzten Alleen durchzogen: hier, bis zum Zeltenplatz hin, siebenmal unterschiedlich von Kastanien, Rüstern, Platanen und so weiter bestanden, dort der Länge nach über den Kleinen und Großen Stern hin durchkreuzt oder von Doppelreihen beschattet, wie die Hofjägerallee, die gleichfalls zum Großen Stern führte. Doch zwischen den vom Verkehr überlasteten Schnellstraßen und beiderseits der ehemaligen Siegesallee, dann Straße des 17. Juni, eröffnete ein Netz ruhig verlaufender Wanderwege den Ausblick auf freie Wiesenflächen, Teiche und Seen. Sie führten zum Rosengarten oder über die Luisenbrücke und erlaubten, von Denkmal zu Denkmal zu wandern, von Goethe zu Lessing, von Moltke zu Bismarck und weiter bis in den Englischen Garten hinein, den der Schloßpark Bellevue begrenzte und in dessen Nachbarschaft die der westlichen Halbstadt teure Akademie der Künste bis vor kurzem ihre Ruhe gepflegt hatte, doch seit dem Fall der Mauer vom Zeitgeist aufgestört und ums Selbstvergnügen gebracht war; gab es doch in der östlichen Stadthälfte gleichfalls eine Akademie der Künste, und beide Versammlungen, die während Jahrzehnten einander gemieden hatten, blickten nun, verlegen grimassierend, weil zur Einheit verurteilt, auf eine preußische Institution zurück, deren Sekretär einst der
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