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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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andeutungsweise trank, alles auf, was zur Schuld beigetragen hatte: Dresden und kein Ende. Und hier, auf dem Dachboden und nicht im Keller, wurde die Möglichkeit erwogen, mit diesem papiernen Wissen das mittlerweile stramme Sofa zusätzlich zu mästen. Was im Potsdamer Archiv nicht katalogisiert ist und uns als Lücke schmerzt: Hier kam es zur Sprache, hier wurde ausgiebig Liebesgestammel zitiert, ungereimt und gereimt, hier quälte sich über Jahre hinweg eine geheimgehaltene Liebe von Blatt zu Blatt, hier sollte mit kostbarem Spezialwissen ein Sofa aufgemöbelt werden. Uns liegt nur der besondere Brief an Bernhard von Lepel vor, in dem als »Enthüllung« steht: »… zum zweiten Male unglückseliger Vater eines illegitimen Sprößlings.« Zudem ist der Tatort angegeben: »Das betreffende interessante Aktenstück (ein Brief aus Dresden) werd ich Dir am Sonntage vorlegen …« Doch Hoftaller wußte mehr und alles, was Fonty zu wissen schien, aber unter der Decke halten wollte: daß die Mutter beider Kinder als Tochter eines Gärtners in DresdenNeustadt gelebt und Magdalena Strehlenow geheißen hat; daß die Gärtnerstochter gern gesehene Kundin der Salomonis-Apotheke gewesen ist; daß es Lebertran für ihre kleinen Geschwister war, nach dem sie immer wieder verlangt hat; daß der junge Apothekergehilfe, der sie über die Ladentheke hinweg bediente, es verstand, die Gärtnerstochter zu Kahnpartien auf der Elbe einzuladen; daß dem Ruderer anfangs zu Lena Strehlenow revolutionäre Verse im Herwegh-Stil eingefallen sind; daß er auf dem ruhig fließenden Nebenarm der Elbe schließlich rückfällig geworden ist und – angestiftet vom Namen der Gärtnerstochter – nur noch im Stil des Romantikers Nikolaus Niembsch von Strehlenau zu seiner Lena passende Reime hat finden können; und daß die Beschreibung der Jahre später abermals geschwängerten Person – »schlank, mittelgroß, aschblond« – mit einer weitaus späteren Romanfigur verdächtig übereinstimmte. »Wir wissen, wer auf Ruderbänken für Lene Nimptsch Modell gesessen hat.« Hoftaller ließ sich nicht beschwichtigen: »Ihr Hinweis auf bloße Fiktion zieht nicht. Wenn die romanhafte Lene infolge der Bootspartie auf der Havel und der anschließenden Übernachtung in Hankels Ablage nicht schwanger ging, beweist das nur, daß der Autor, hier ganz seinem Stilprinzip folgend, das Bett, die Dresdner Konsequenzen ausgespart hat. Nur mit dem Namen wagte er ein wenig zu spielen. In Wirklichkeit aber wurde die aschblonde Gärtnerstochter nach wiederholtem Rudern zum ersten Mal und sechs Jahre später abermals Kindsmutter. Der ›Sprößling‹, wiederum ein Mädchen, wurde keine zwei Jahre alt. Nur die erstgeborene Tochter ist nicht von der Diphterie hingerafft worden. Seien Sie froh, Fonty! Die kleine Mathilde überlebte alle Kinderkrankheiten, wuchs heran, war ne praktische Person, die zupackte, fiel durch Klugheit und strebsamen Sinn auf und heiratete später …« Hier brach Hoftaller ab. Und Fonty drängte ihn nicht, weiterführende Sofageschichten auszuplaudern. Es reichte. All dieses aufgehobene Wissen -sein Tagundnachtschatten zitierte nicht nur aus Liebesbriefen. sondern auch Widmungsverse, in denen sich Lebertran auf holden Wahn und andernfalls anzüglich auf Elbkahn reimte – versetzte ihn in einen elenden Zustand, zu dem das Übermaß an Rotwein beitrug. Klebrige Süße stieß übel auf. Aus Hoftallers halbem Versprechen, das Sofa mit belastenden Briefschnipseln zu stopfen, wurde nichts: »Später, Fonty, vielleicht später, wenn wir die Dresdner Folgen abgearbeitet haben.« Das gab ihm den Rest. Dem Aktenboten Theo Wuttke kam es hoch. Schon würgte er. Und selbst wenn der Unsterbliche im vergleichbaren Fall diese Szene ausgeblendet und dem Romanleser alles Vulgäre erspart hätte, sehen wir uns zu dem Eingeständnis gezwungen: Fonty mußte kotzen. Aber wohin? Wo hinein? Wären wir noch, wie anfangs vermutet, in der Kelleretage und stünde das Sofa in Nähe der Eisenklappe zur Notheizung, hätte Hoftaller rufen können: »Mensch, Wuttke, dahin! Einfach in den Heizkessel rein!« Weil aber Fonty nicht im Keller des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums speiübel wurde, sondern in dessen Dachgeschoß, wird er das neu aufgepolsterte Sofa vollgekotzt haben. Nach so viel widerwilligem Weingenuß und nachdem er gezwungen worden war, all das Bedrückende anzuhören und dabei den eingedickten Sud vergangener Zeit zu schlürfen, wird niemand erwarten können,

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