Ein weites Feld
Unsterbliche gewesen war, wenn auch ein halbes Jahr lang nur, so schnell hat ihn das Akademiewesen angewidert. Fonty pflegte seine Vorlieben. Gerne wanderte er vom Denkmal Friedrich Wilhelms III. zum Lortzingdenkmal und suchte von wechselnden Parkbänken aus unverstellte Blicke übers Wasser bis hin zur Rousseau-Insel. Und wie wir wissen, gab es dort eine Lieblingsbank, die im Halbschatten stand, mit einem Holunder hinter der Rückenlehne. Manchmal lief er bis zur Fasanerieallee und den bronzenen Skulpturen Hasenhetze und Fuchsjagd, dann weiter zum Neuen See, den der Landwehrkanal speiste und der ab Anfang Mal von Ruderbooten belebt war. Hier sah er von Uferbänken aus zu und war voller Gedanken an Ruderpartien, an denen er teilgenommen oder deren Verlauf sich literarisch niedergeschlagen hatte, etwa die Kahnfahrt in Stralau am zweiten Ostertag, später auf der Spree bei Hankels Ablage, doch ganz zu Anfang ist es ein stiller Seitenarm der Elbe gewesen, auf dem zu zweit gerudert wurde; und immer war, ob vorgeahnt oder nacherlebt, Lene Nimptsch dabei, die von Frau Dörr »Leneken« gerufen wurde. Das waren seine Lieblingsplätze. Selten überquerte Fonty die Hofjägerallee, um eine »Volkslied« genannte Skulptur aufzusuchen; denn ganz in deren Nähe hätte er am Rand des Tiergartens sich selbst als marmornes Denkmal sehen müssen, wie er von hohem Rundpodest barhäuptig, mit beschädigtem Stock und in preußischer Haltung über alles hinwegschaut.
So, als einem versteinerten Beamten, wollte er sich nicht begegnen. Dann lieber doch und immer wieder den Großen Weg lang zum stillen Wasser um die RousseauInsel. Dort konnte nach einigem Stillsitzen – mit blühendem oder reifem Holunder im Rücken – dieser besondere Blick in wechselnde Zeit genossen werden, etwa in die um 1836, als in Wilhelm Roses Apotheke »Zum Weißen Schwan« seine Lehrzeit begann. Das war kurz nachdem er noch als Gewerbeschüler beim Bruder des Vaters, dem Pumpgenie Onkel August, zum ersten Mal Emilie Rouanet gesehen hatte. Weil unehelich geboren, hieß sie außerdem Kummer, nach ihrem Pflegevater. Ein verwildert anmutendes Kind, dem ein Eierkiepenhut zu Gesicht stand und das er verschreckt haben mochte, wie ihn das Mädchen auf ersten Blick erschreckt hatte. Schon damals hätte er Emilie bei der Hand nehmen und, falls das Kind ihm gefolgt wäre, durch den noch unfertigen Tiergarten über sandige Reitwege führen können, bis hin zur Aussicht auf die so frühzeitig nach einem Philosophen benannte Insel; wie er im Frühling 1846, dem Jahr nach der Verlobung, mit Emilie Rouanet-Kummer einen Ruheplatz gesucht und eine Tiergartenbank mit Blick auf die Insel des rabiaten Aufklärers und Pädagogen gefunden hat.
Im Rückblick sah sich Fonty neben der Einundzwanzigjährigen, die nicht mehr wild und schwarzäugig einer Ziegenhirtin aus den Abruzzen glich, sondern mit graublauen Augen die Welt märkisch normal einschätzte und ihr kastanienbraunes Haar zur Frisur getürmt trug: reif zur Ehe. Zu jener Zeit galt die Gestaltung des Tiergartens durch den Gartenbauarchitekten Lenné als abgeschlossen. Nach seinen Plänen war die Umgebung der Rousseau-Insel zur Ruhe gekommen. Alles grünte wie vorbedacht. Und der Große Weg führte am See vorbei zur Großen Sternallee, wie er vierzig Jahre später noch immer verlief, als die Tochter Martha, Mete gerufen, den Vater manchmal durch den Tiergarten zu dessen Lieblingsplätzen begleitete; doch sobald sich Fonty so rückgespult und in längeren Bildsequenzen mit Mete sah, konnte er nicht verhindern, daß ihm im Zeitsprung die neunjährige Martha Wuttke über den Weg lief, gefolgt von Theo Wuttke, der immerfort »Mete, komm!« rief. Das war kurz vorm Mauerbau. Vater und Tochter hatten zuvor den Großvater, Max Wuttke, in dessen Kellerwohnung am Hasensprung besucht. Dann sah er sich wieder allein durch den Tiergarten laufen, diesmal als verstörten Revoluzzer. Das war wenige Wochen nach dem Begräbnis der Märzgefallenen, als selbst der König gezwungen war, den Hut zu ziehen.
Übrigens fand die Hochzeit mit Emilie RouanetKummer gut zweieinhalb Jahre später, am 16. Oktober 1850, mit einem Festessen am Rande des Tiergartens statt, nahe der Bellevuestraße in einem Restaurant namens »Georgischer Garten«; ein Vergnügungslokal, das seiner geschützten Lage und guten Küche wegen sowohl vor wie nach der Revolution viele Gäste anzog. Die Tunnelbrüder hatten für ein Geschenk gesammelt. Von den Jugendfreunden der
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