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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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rum: Haare auf Streichholzlänge. Hat sich überhaupt nich verändert seitdem. Hieß aber anders …«
»Und konnt wegen nix lächeln, immer schon …«
»Wir ahnten natürlich, och Major Schnöttker, daß der irgendwie zum Prinz-Albrecht-Palais gehörte …«
»Paß bloß auf, hab ich später zu Vater gesagt. Wenn du nicht aufpaßt, hat der dich bald am Haken. Das roch man doch, daß dem seine Adresse Normannenstraße hieß. War sogar mir klar, selbst wenn ich ab Mitte Siebziger Genossin gewesen bin und mich geschämt hab vorm Parteikollektiv, wo ich hinzitiert wurde, weil Vater wegen dem Schreihals, der hier nicht singen durfte, ne Lippe riskiert hat und dann später keine Vorträge mehr, nur als Aktenbote noch …«
»Ach, wissen Se, unsre Martha war einfach verblendet, wie man heut sagt. Aber mein Wuttke, der hat gewußt und trotzdem mit seinem Geläster immer alles noch schlimmer gemacht. Deshalb wurd er den Kerl nich los, bis heut nich. Is richtig abhängig geworden, wegen Gefälligkeiten von früher. Denn paarmal hat er geholfen, wenn es ganz schlimm wurd. Aber genau weiß man nich: Schützt er ihn, oder legt er ihn rein …«
»… weil Vater darüber kein Wort sagt. Und wenn er was rausläßt, dann um drei Ecken rum, na, Sie kennen das ja: achtundvierziger Revolution, die Märzgefallenen … Und immer so, als ob er auf Barrikaden mit ner Flinte dabeigewesen ist. Alles reine Phantasie, aber Mama, die ihn gepflegt hat, als er mit Fieber lag, glaubt manchmal selber …«
»Das hätten Se hören und mitschreiben sollen, was mein Wuttke geredet hat, alles durcheinander, nich nur Revolution, wo er Glockenläuten gewollt hat, och sein Gerede mit lauter Figuren von anno dazumal. Immer direkt, als hätt er diesen Friedlaender oder ne andre wildfremde Person bei sich auf der Bettkante gehabt: ›Mein lieber Lepel!‹ Den hat er anpumpen gewollt, und zwar um zweihundert Taler, als wenn Kaiser Wilhelm noch immer das Sagen hätt. Und manchmal tut er so, als ob die Straßen und Schulen nich nach seinem Einundalles, sondern nach ihm benannt sind, daß man denkt, er tickt nich richtig und muß inne Anstalt …«
»Hör damit bloß auf, Mutter! Sonst passiert noch was …«
»Ich sag nur, was is. Denn angefangen hat alles schon früher. Als Soldat noch nich und gleich nachem Krieg och nich, erst beim Kulturbund is er durchgedreht völlig …«
»Mama regt sich auf darüber, ich nicht. Tut ja niemand weh. Geklatscht haben die Leute, wenn er auf Vortrag war. War dabei, oft genug. Und hab als Kind dicke angegeben, weil sie Vater als Kulturaktivist mit ner Ehrennadel dekoriert haben und er mit Bild inner Zeitung stand. Und im Prinzip wär das vielleicht auszuhalten gewesen, wenn nicht dieser Stoppelkopp …«
»›Mein altvertrauter Kumpan!‹, wie mein Wuttke zu dem Stinktier sagt …«
»Der läßt sich nicht abwimmeln, der kommt immer wieder. ›Genossin‹, hat er gesagt und dabei gegrinst. ›Sie wollen mir doch nicht etwa grundsätzlich einen Besuch bei meinem kranken Freund ausschlagen? Das hätte Konsequenzen, Genossin! Ich meine, so kurz vor der Hochzeit. Sie wissen ja, wir können auch anders. Ein Blick in Ihre Kaderakte, Genossin …‹«
»Dabei is unsre Martha rechtzeitig raus, voriges Jahr schon im Frühling, als es die Partei noch gab …«
»Genau! Und in diesen schrägen Nachfolgeverein kriegen mich keine zehn Pferde.
Da kann dieser Gysi noch so witzig … Das ist vorbei … Für immer …«
»Und deshalb ließ ich ihn nich inne Küche rein …«
»Als der kam und klingelte, lag ich ja flach …«
»Wärst bloß nich aufgestanden …«
»Nur weil du geschrien hast: ›Martha, komm!‹, bin ich …«
»Na, weil er mit Anstalt und Einliefern gedroht hat …«
»Und wissen Sie, was dieser Stoppelkopp uns mitgebracht hat? Blumen, nen Strauß Sommerastern, genau …«
    Als Hoftaller endlich zugelassen wurde, war Martha nur noch halbtags bettlägerig.
    Sie konnte Emmi, die von der Doppelpflege erschöpft war, für einige Stunden ablösen. Und manchmal kam Inge Scherwinski zur Aushilfe. Sie putzte die Küche, wechselte die Bettwäsche, lüftete und trällerte sich von Zimmer zu Zimmer.
    Mittlerweile war der Juli vergangen. Sommerhitze lag auf der Stadt. Hoftaller roch verschwitzt, als er auf Krankenbesuch kam. Und diesen Geruch nahm er mit, als ihm Emmi die Tür zur Studierstube öffnete: »Aber daß Sie mir meinen Wuttke nich aufregen …«
    Fonty lag mit geschlossenen Augen. Sein Besucher sagte uns später: »Er

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