Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
daß man sich schämen gemußt hat, wenn unser Friedel uns Päckchen geschickt hat mit Schokoriegeln, Zahnpasta, Eiershampoo und sonst was drin, und wir nich mal danken durften. Überhaupt keine Briefe nich, nur heimlich …«
    »Na, weil das Westkontakt und verboten war, weil nämlich die Sicherheit Vater als Geheimnisträger eingestuft hatte, schon immer, nicht nur als Aktenbote …«
    Wir blieben eine gute Stunde. Im Hintergrund des Salons dunkelte das seit Jahren stumme Klavier, auf dessen Notenbrettchen unverrückt etwas von Chopin aufgeschlagen stand. Das war zu Beginn der Phase von Fontys Genesung, einige Wochen vor Marthas Hochzeit mit Heinz-Martin Grundmann. Natürlich wurde über die bevorstehende Eheschließung gesprochen, ohne daß wir viel fragen mußten.
    Martha sagte: »Wir sind beide nicht mehr die jüngsten und haben uns das nun lang genug überlegt.« Doch dann tippten wir Probleme an, die die Wuttkes mit Fontys Tagundnachtschatten hatten.
    »Nee, der kam uns nich inne Wohnung. Jedenfalls anfangs nich. Nur als es schlimmer und schlimmer wurd …«
    »Ne Ausnahme gab’s erst mal nur für Sie, na, weil Sie vom Archiv sind. Außerdem wär zuviel Krankenbesuch für Vater bestimmt zu anstrengend gewesen.«
    »Weil unsre Martha och noch bettlägrig wurd. Das war schon immer so, wenn mein Wuttke schlappmachte, dann sie gleich mit …«
    »Hab aber trotzdem gehört, wie er dich weichgekriegt hat …«

    »Jeden zweiten Tag geklingelt, richtig unverschämt. Was wollt der überhaupt? Aber nich mal inne Küche hab ich ihn reingelassen …«
    »Was der gewollt hat? Na horchen, gucken. Weshalb ich gerufen hab: ›Laß den bloß nicht rein, Mutter!‹«
»Is ne alte Geschichte. Die kennen sich beide nämlich schon lang. Weiß nich, ab wann genau. Mein Wuttke läßt da nix raus, und ich frag nich viel …«
»Jedenfalls waren die schon Kumpels im Krieg, als Vater, der ja nie richtig an die Front kam, sein Zeug geschrieben hat, aussem Generalgouvernement, aus Dänemark auch, aber meistens aussem besetzten Frankreich. Genau! Sie sagen es. ›Historische Rückblicke‹ hat er das genannt. Muß ziemlich mies gewesen sein, nicht richtig faschistisch, aber Propaganda war das schon, daß man sich immer noch schämen muß. Fragen Sie Mama, die weiß da mehr …«
»Achgottchen, blutjung waren wir und hatten von nichts ne Ahnung, von dem Schlimmen, das hinterher rauskam, daß ich mich heut noch schäm. Doch als ich gleich nach meiner Lehre zur Reichsluftfahrt kam und bei Major Schnöttker im Vorzimmer saß, hab ich andre Sachen im Kopp gehabt, weil ich verliebt war in meinen Wuttke. Den hätten Sie sehn solln: So schmal war der. Jedenfalls haben wir uns heimlich verlobt. Nur Tante Pinchen wußte. In Oppeln hatten die keinen Schimmer. War ja grad neunzehn erst. Und gefeiert haben wir im Café Schilling am Tauentzien.«
»Typisch! Mama will wieder mal nix von dem Kerl sagen, der damals schon seine Finger überall drin und Vater kein bißchen Ruhe gegönnt hat …«
»So schlimm war es nun och wieder nich. Und außerdem hat mein Wuttke immer gewußt, wie man dem aus dem Weg geht, wenn er auf Urlaub kam und wir es schön hatten und ausgingen, ›Haus Vaterland‹ und so. Aber das Schönste waren seine Briefe. Sind leider verbrannt alle, weil ich die, als hier immer mehr Bomben, sicherheitshalber nach Dresden zu meiner Freundin Erika geschickt hab, an die hundert Briefe in zwei Paketen … Alle futsch, weil bei dem Feuersturm … Und alle Straßen voll Flüchtlinge aus Schlesien … Jedenfalls hat mein Wuttke, wenn er schrieb, immer Gedichte reingelegt, eigne und fremde. Wußt aber nie genau, was von ihm is, was nich. Waren gereimt alle … Eins hieß, weiß ich noch: ›Beim Rudern‹ … Was aber den Kerl angeht, na, sein Beschatter, der konnt manchmal richtig unheimlich werden …«
»Genau! Schon als Kind hab ich das mitgekriegt, wenn ich mit Vater auf Vortragsreise war, in Potsdam, Cottbus, sogar in Neuruppin. Da tauchte der immer auf Hab aber nix kapiert im Prinzip und ihm sogar, dußlig, wie ich war, Berichte geschrieben, na, wissen Sie Ja, wie Schulaufsätze, über alles, was hinterher bei Kaffee und Kuchen beim Kreissekretär geredet wurde. ›Wachsam sein!‹ hieß das bei den jungen Pionieren. ›Der Klassenfeind schläft nicht!‹ War alles harmlos, was ich geschrieben hab, schäm mich aber trotzdem. Stoppelkopp hab ich ihn genannt, und Vater hat gelacht dazu …«
»So lief der schon damals bei der Reichsluftfahrt

Weitere Kostenlose Bücher