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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Wirrungen‹ noch als getrocknete Kränze zu kaufen waren, heutzutage aus gutem Grund unter Naturschutz gestellt hat …« Wer immer den Bleistift geführt hatte, die Manuskriptseiten lasen sich schwierig. Wir vom Archiv waren geübt, Hoftaller jedoch, der unserer Gründlichkeit nicht nachstand, hatte immer noch Mühe beim Entschlüsseln der wie unter altersbedingtem Zeitdruck vollgeschriebenen Blätter. Wie gut, daß Emilie, trotz bleibender Zweifel an ihres Mannes schriftstellerischen Gaben, die meisten Bleistiftfassungen abgeschrieben und für den Druck tauglich gemacht hat; weshalb auch Emmi Wuttke ihres Mannes Vorträge für den Kulturbund in Maschinenschrift übertrug, damit sie für Hoftaller leserlich wurden: Der suchte ab Anfang der sechziger Jahre, kaum daß er enttäuscht aus dem Westen zurück und wieder an alter Stelle im Dienst war, alle Vortragstexte nach Sicherheitsrisiken ab. Und nun lag nach langer Pause neuestes Bleistiftgekritzel vor. Anfangs zierte sich Emmi und sagte, sie sei aus der Übung, doch dann tippte sie den zur Genesung führenden Vortrag über die Kinderjahre, dessen zeitraffende Methode die Glückseligkeiten der Neuruppiner Bilderbögen mit den Bildstürzen von Fox tönender Wochenschau und den Sohn des Apothekers mit dem Sohn des Steindruckers in Einklang brachte. Emmi tippte auf ihrer elektrischen Robotron im Poggenpuhlschen Salon. Zwar nörgelte sie, fand alles zu weitschweifig und - wie sie sagte – »an den Haaren herbeigezogen«, doch als Fonty kurz vor Schluß der »Kinderjahre« ein Zwischenkapitel, »Vierzig Jahre später«, als Intermezzo einschob, war bereits mehr als die Hälfte abgetippt.
    Es ging um die Väter. Beide schwach und liebenswürdig. Jeder auf konsequente Weise unzuverlässig. Väter, die ihren Spielschulden oder jeder abhängig machenden Arbeit aus Prinzip davonliefen und dabei nie um glaubhafte Ohnmachtsgebärden oder Pläne für todsichere Neuanfänge verlegen waren. Galt dem einen häufiger Ortswechsel als jederzeit wirksames Allheilmittel gegen den Stumpfsinn bürgerlicher Ansässigkeit, war dem anderen jede neue Werkstatt die beste, die ihm zufallen konnte. Trieb es den einen nach hastigem und, wie er meinte, günstigem Verkauf der Löwenapotheke von Neuruppin auf sandigen Wegen nach Swinemünde, sah der andere die Zukunft gleichfalls im Wechsel: vom Druckhaus Kühn in der Ludwigstraße zur Druckerei der Firma Oehmigke & Riemschneider an der FriedrichWilhelm-Straße; und nach der Eröffnung einer eigenen Lithographiewerkstatt und deren schnellem Konkurs wechselte er nur noch Gelegenheitsarbeiten, sei es als Heizer auf einem Ausflugsdampfer, sei es als Gärtner in den Knöllerschen Gewächshäusern. Am Ende fühlten sich beide bei Schweine- und Karnickelzucht wohl und fanden ihr Stück bemessene Freiheit auf dem Kartoffelacker und beim Gemüseanbau. Doch da lebten sie schon abgesondert und ganz für sich. Beiden Vätern mißlang die Ehe. Beide wurden von ihren Frauen am Ende vor die Tür gesetzt, weil die strenge Emilie und die strenge Luise den gesellschaftlichen Abstieg der Familie oder den Rückfall ins Proletariat nicht als »Befreiung von Zwängen« oder »klassenbewußten Neubeginn« gutheißen konnten; zudem ging es darum, die noch unmündigen Kinder dem väterlichen Lotterleben zu entziehen.
    Der Unsterbliche hat die hinausgezögerte Scheidung seiner Eltern als Apothekergehilfe, das heißt erwachsen und aus Distanz erlebt; bei den Wuttkes ging es schneller zu, gefördert gewiß vom Tempo der neuen Zeit: Luise Wuttke bekannte sich schon früh zu »unserem Führer und Reichskanzler, der Deutschland aus Schmach und Elend emporheben wird«. 1935 sah der halbwüchsige Gymnasiast und Hitlerjunge Theo Wuttke seinen Vater mit wenig Gepäck davonziehen. Des häuslichen Streits müde und weil ihm das von SA-Kolonnen besetzte Neuruppiner Pflaster zu heiß geworden war, wollte der unverbesserliche Sozi nach Berlin, um dort unterzutauchen. Beide Väter hatten jung, jeweils nach Kriegsende geheiratet. Beide waren mit wenig beruflichen, doch mit prägend soldatischen Erfahrungen gerüstet. War der eine, obgleich Bewunderer Napoleons, gegen diesen und unter preußischen Fahnen ins Feld gerückt, hatte es der andere, so pazifistisch er das Militärwesen verachtete, als Freiwilliger beim Infanterieregiment Nr. 24 zu einigen Verwundungen, dem Eisernen Kreuz und vor Verdun zum Unteroffizier gebracht. Lehrte der eine seinen Erstgeborenen die Namen aller

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