Ein wilder und einsamer Ort
dem Fußboden zusammenrollen.
»Freust du dich, daß du deine Omi
morgen wiedersiehst?« fragte ich sie.
Sie schüttelte den Kopf. »Sie ist
bestimmt böse auf mich. Es ist alles meine Schuld.«
»Habiba, gar nichts ist deine Schuld.«
»Doch.«
»Warum?«
»Mein Dad hat das gesagt. Er hat
gesagt, wenn ich nicht auf die Welt gekommen wäre, hätten er und Mom sich
weiter vertragen, und dann wären tausend schlimme Sachen gar nie passiert.«
Tausend schlimme Sachen — zum Beispiel, daß er Chloe Love ermordet hatte und
daß Schechtmann Mavis umgebracht hatte. Der Mistkerl hatte kein Recht, seine
Schandtaten diesem seelisch mißhandelten Kind in die Schuhe zu schieben!
Ich hockte mich hin und nahm sie in die
Arme, wobei ich mehr Knochen als Fleisch spürte. »Weißt du«, sagte ich, »Väter
haben nicht immer recht. Manchmal ist bei ihnen... irgendwas nicht ganz in
Ordnung, und sie sagen Dinge, die nicht stimmen. Weißt du noch, wie dein Dad
gesagt hat, die Haifische würden dich fressen, wenn du versuchen würdest, von
Jumbie Cay wegzuschwimmen?«
»...Ja.«
»Und haben uns die Haifische
gefressen?«
»Nein.«
»Siehst du?«
Hy trat von hinten an uns heran. »Das
Boarding geht in zwanzig Minuten los.«
Habiba erstarrte.
Ich sagte: »Das ist doch nur Hy...«
»Nein, da ist mein Dad.«
Ich drehte den Kopf und guckte an Hy
vorbei. Dawud Hamid stand am Abfertigungspodium und sprach mit der
Angestellten. Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Er beugte sich
vor und schlug beim Reden mit der flachen Hand auf den Schaltertisch.
Er fragte, ob jemand mit einem Kind von
Habibas Größe und Aussehen eingecheckt hatte. Gott sei Dank rückte die
Fluglinie keine derartigen Informationen heraus!
Aber woher zum Teufel wußte er, daß wir
von Key West abfliegen würden?
Hy hatte sich ebenfalls umgesehen.
Jetzt trat er zwischen den Schalter und uns. Er streckte Habiba die Hand hin,
und sie nahm sie. Hielt sie krampfhaft fest, als sie sich umdrehten und
losgingen, weg vom Gate. Ich folgte ihnen und hielt mich dicht hinter Habiba,
um sie zu Hamid hin abzuschirmen.
Auf halbem Weg zur Sicherheitskontrolle
verschwand Hy in einem Seitenflur, der zu einer Personaltür führte. Ich
schlüpfte hinterher.
»Ist es Hamid?« fragte er.
»Ja. Laß uns erst mal schauen, was er
tut.«
Habiba stand zwischen uns, und ihre
panikgeweiteten Augen huschten zwischen unseren Gesichtern hin und her. »Er
darf mich nicht wieder zurückbringen. Bitte!«
»Auf gar keinen Fall«, sagte Hy fest.
Ich nahm ihr den viel zu großen
Strohhut vom Kopf, raffte mein Haar hoch und drückte den Hut darauf. Dann
spähte ich zum Gate hinüber. Hamid kam den Flugsteig entlang, das
gutgeschnittene Gesicht vor Ärger verzerrt.
Ich gab Hy und Habiba ein warnendes
Zeichen. Trat, als Hamid vorbei war, hinaus und schlug dieselbe Richtung ein.
Seine Bewegungen waren ruppig und eckig. Er streifte eine alte Frau, die sich
mit zwei Reisetaschen abschleppte, und hielt es nicht mal für nötig, sich zu
entschuldigen. Als er die Halle mit den Ticketschaltern betrat, schien er
ruhiger zu werden; sein Gang wurde sicher und geschmeidig — der Gang eines
Raubtiers.
Auf dem kleinen Flughafen herrschte zu
dieser frühen Abendstunde verschlafene Stille. Die Saison war vorüber, die
Hitze drückend; die paar Menschen im Abfertigungsgebäude bewegten sich wie in
Zeitlupe. Ich hielt einen sicheren Abstand zu Hamid und schlenderte zu einer
Reihe Telefonkabinen.
Er ging zum American Eagle-Schalter.
Zückte großspurig eine Kreditkarte und deutete zu dem Abflugkorridor hinüber.
Er wollte unseren Flug nehmen.
Die Schalterangestellte nahm die
Kreditkarte. Sie zog sie durch ein Ablesegerät und stellte Ticket und Bordkarte
aus. Hamid nahm beides an sich und kam auf die Telefone zu; ich schlüpfte in
eine der Zellen und beobachtete, wie er ein kurzes Telefonat führte. Danach
ging er geradewegs zu dem Gate, wo das Boarding für unsere Maschine bereits
begonnen hatte.
Hy und Habiba standen immer noch in dem
kleinen Seitenflur. Er hockte vor der Kleinen, die Arme um sie gelegt. Sie
preßte ihr Gesicht an sein Hemd. Ich strich ihr leicht über den Kopf und sagte
zu Hy: »Gib mir mein Ticket.«
»Was?«
»Hamid nimmt diesen Flug; ich werde es
ebenfalls tun. Du und Habiba, ihr schnappt euch ein Taxi und nehmt euch ein
Zimmer im nächsten Hotel.«
»McCone...« Er zögerte kurz, streckte
mir dann den Umschlag mit dem Ticket hin. »Ich werde dich in Miami
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