Ein wilder und einsamer Ort
Müllcontainer herab, der neben dem Tor stand.
Ich ließ mich in einen grün-weiß-gerippten Deckstuhl fallen und lauschte dem
Dialog, der durch Adahs Küchenfenster herausdrang: eine Debatte über die
jeweiligen Vorzüge von Dosenfutter der Sorte Mixed Grill und Kalbsbraten mit
Soße. Natürlich gewann der Braten mit Soße.
Was zum Teufel ging hier vor? fragte
ich mich. Was Morland mir am Telefon über Adahs seelische Verfassung erzählt
hatte, hatte so ernst geklungen, daß ich mein Wochenende mit Hy vorzeitig
abgebrochen und meinen ersten längeren Alleinflug gewagt hatte. Jetzt fand ich
meine angeblich so verzweifelte und selbstmordgefährdete Freundin sichtlich auf
dem Weg der Besserung — was bewirkte, daß ich mich getäuscht fühlte und
gleichzeitig Schuldgefühle hatte, weil ich so reagierte. Ich holte besser ein
paar Antworten aus ihr heraus, und zwar schnell.
Sie kam aus der Tür, in jeder Hand ein
Glas Wein. »Ich war so frei, bei Mama Mia Pizza zu ordern. Ich bin am
Verhungern, und du bist es sicher auch. Salami und Schinken mit Oliven und
Pilzen und für dich noch Sardellen. Okay?«
Ich nahm stirnrunzelnd mein Weinglas
entgegen.
»Was ist? Hast du den Sardellen
abgeschworen?«
»Sardellen sind okay.«
»Was zum Teufel ist dann mit dir los?«
»Mit mir? Was ist mit dir los? Du hast
dein Leben zerdeppert, und du bestellst Pizza?«
Sie setzte sich in einen Korbsessel,
die langen Beine untergeschlagen. »Ach, McCone, ich habe mich heute nacht der
Selbstzerknirschung hingegeben. Die ganze Nacht, und wenn ich nicht diese tolle
Kräutercreme hätte, wären meine Augen total verquollen. Aber irgendwann war ich
ja drüber weg und habe darüber nachgedacht, welche Möglichkeiten mir das
eröffnet — und die sind grenzenlos!«
Noch immer ausgetickt, dachte ich, nur
jetzt am andern Ende des Spektrums. »Okay — und worin bestehen sie?«
»Na ja, erstens mal: Wie beide werden
den Diplobomber schnappen. Und die Million kassieren.«
Besänftigend auf sie einwirken. »Klingt
gut.«
»Weißt du noch, wie ich neulich zu dir
gesagt habe, der Glanz des Polizeiabzeichens sei hin?«
Ich nickte.
»Tja, ich denke, Katastrophen wie die
gestern sind ein Zeichen, daß sich etwas ändern muß.«
»Dann bist du also froh, daß du
vermutlich aus der Sonderkommission und aus dem Polizeidienst fliegen wirst?«
»Froh ist gar kein Ausdruck, McCone.
Mein Leben lang habe ich mich brav an die Regeln gehalten. Wahrscheinlich als
Reaktion auf Barbara und Rupert, die nicht mal wissen, daß es Regeln gibt.
Jetzt habe ich die Chance, zu tun, was ich will.«
»Und das wäre?«
»Das werde ich mir später überlegen.
Jetzt gehen wir erst mal an die Arbeit und schnappen uns den Diplobomber.«
»Adah, wir haben schon die ganze Zeit
an diesem Fall gearbeitet. Und zwar mit herzlich wenig Erfolg.«
»Aber dank der Besprechung gestern
abend haben wir jetzt eine Information mehr. Weißt du, was das Detail war, das
ins Techno Web gesickert ist? Es war noch eine weitere Signatur, die erstmals
auf der Bombe aufgetaucht ist, die im azadischen Konsulat hochgegangen ist: die
Buchstaben C. L., in den Metallboden eingeritzt.«
»Initialen?«
»Sieht so aus.«
»C. L.« Ich ging die Namen der Leute
durch, die mit dem Konsulat zu tun hatten. Nichts Passendes dabei. »Der
Bombenleger?«
»Könnte sein.«
Ich schwieg, trank von meinem Wein.
»Adah, diese undichte Stelle — glaubst
du, es könnte jemand aus der Sonderkommission gewesen sein?«
»Nein.«
»Also der Bombenleger selbst.«
»Scheint so. Sie versuchen, per
gerichtlicher Anordnung an die Liste der Web-User heranzukommen. Aber selbst
wenn sie sie kriegen — und in Anbetracht der Datenschutzgesetze ist das
fraglich —, wird es enorm viel Zeit und Arbeit kosten, ihn herauszufiltern.«
»Und du glaubst, wir können das
schaffen? Jetzt, wo wir nicht mal mehr Zugang zu den Akten der Sonderkommission
haben?«
»Ist das so?«
»Ist es nicht so?«
»Nein.«
»Wieso?«
»Überlaß die Einzelheiten mir.«
Morland, dachte ich. Er mag sie, und
sie wird das bis ins letzte ausnutzen.
»Übrigens, McCone«, setzte sie hinzu,
»tut mir leid, wie ich mich am Freitag benommen habe.«
»Entschuldigung angenommen. Ich muß
schon sagen, daß mich das nicht gerade entzückt hat — diese Flut von Anrufen,
von deinem Campinglager vor meiner Tür ganz zu schweigen.«
Sie machte eine Bewegung mit den
Schultern, die bei ihr normalerweise der Auftakt zu einem schwierigen
Eingeständnis
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