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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Diplomatenstatus Anklage zu erheben, vielleicht einen Präzedenzfall
daraus zu machen, aber dann verschwand Hamid plötzlich.« Noch über die
gewaltige Entfernung spürte ich Gregs Ärger; er griff auf mich über und stärkte
meine Entschlossenheit, Habiba von dieser Insel wegzuholen.
    »Noch was, Greg — ich mache mir Sorgen
um Adah Joslyn. Sie hat mir am Montag auf dem Anrufbeantworter die Nachricht
hinterlassen, sie sei auf eine Spur in der Bombersache gestoßen und ich solle
sie anrufen, aber sie nimmt einfach nicht ab, und ihr Anrufbeantworter ist
nicht an. Kannst du mal prüfen, was da los ist?«
    »Klar. Soll ich dich zurückrufen?«
    »Nein, ich rufe dich lieber wieder an.«
    »Warte mal —was machst du in der
Karibik? Hat es was mit...«
    »Vielen Dank, Greg.«
    Und noch eine Kleinigkeit galt es zu
klären. Ich rief RKI an und wurde zu Renshaw ins Konsulat durchgestellt. »Ich
kann nur kurz reden«, sagte ich. »Haben Sie Habibas Paß?«
    »Ja. Die Kleine hat die doppelte
Staatsbürgerschaft — amerikanisch und azadisch. Schechtmann hat den azadischen
Paß mitgenommen. Den amerikanischen wollte er nicht.«
    Um so besser; ein azadisches Kind, das
mit einer nicht blutsverwandten Amerikanerin reiste, würde womöglich
Aufmerksamkeit erregen. »Wie haben Sie Mrs. Hamid dazu gekriegt, ihn
herauszugeben?«
    »Gar nicht. Khalil Latif hat ihn aus
dem Safe des Konsulats stibitzt.«
    »Na, fein. Also — ich brauche ihn
morgen früh. Geht das?«
    »Ich schicke ihn per Kurier — mit einem
unserer Leute. Wohin?«
    »Flughafen, um neun. Wenn ich nicht
auftauche, soll derjenige warten, bis ich komme.«
    »Sie erkennen ihn an unserem
Firmen-Blazer. Sonst noch was?«
    Es klopfte leise an die Tür. Kenny, überpünktlich.
»Im Moment nicht, aber ich melde mich wieder.« Ich sagte Kenny, er solle kurz
warten, rief dann die Fluggesellschaft an und buchte für Habiba und mich den
Morgenflug nach Miami.
     
    Das Princes Quarter lag inseleinwärts:
ein sattgrünes Tal, bewachsen mit Cholla-Kakteen und einem Dickicht aus Bäumen
und kratzigem Gestrüpp, das Kenny Dornwald nannte. Kleine Felsformationen
ragten aus der Vegetation hervor. Freilaufende Ziegen kletterten oder standen
darauf herum und musterten unser Taxi mit ernstem Blick. Regenschwangere Wolken
senkten sich auf die umliegenden Flügel, drohten die Hänge herabzugleiten und
sich über uns ihrer Last zu entledigen.
    Kenny war an diesem Nachmittag
merkwürdig still; vielleicht hatte er gemerkt, daß ich keine normale Touristin
war. Er machte ein, zwei Bemerkungen über die Landschaft, schimpfte eine Ziege,
die nicht von der Straße weichen wollte, »Arschgeige«, aber ansonsten fuhren
wir schweigend dahin.
    Nach einer guten halben Stunde bremste
er ab und zeigte auf zwei Steinhaufen, die die Einmündung eines unbefestigten
Wegs markierten. Während er zwischen ihnen hindurch lavierte, erklärte er: »Da
geht’s zu Miz Altagracia.«
    »Sie ist unverheiratet?«
    »Kein Mann, der alle im Kasten hat,
geht in ihre Nähe. Die hockt hier mit ihren Ziegen und schrumpelt vor sich hin
wie ein toter Krebs in der Sonne.«
    »Warum?«
    Er guckte verdutzt und zuckte dann die
Achseln. Grundtatsachen hinterfragte man nicht. Die Leute taten, was sie taten,
und Punkt. Wir fuhren durch ein weiteres Stück Dornwald, dann kam ein Haus in
Sicht: geweißte Schindeln, rotes Blechgiebeldach, Holzjalousien vor Türen und
Fenstern. Daneben stand ein zweites Gebäude, durch einen berankten Spaliergang
mit dem Haupthaus verbunden; es war mit Sturmfensterläden hurrikandicht
verrammelt. Braune, schwarze und weiße Ziegen zupften das bißchen Grün, das vor
dem Haus noch übrig war; Kennys Hupen ließ sie meckernd auseinanderstieben. Als
der Toyota hielt, öffneten sich die Lamellen der Jalousie an der Eingangstür
ein ganz klein wenig. Ich fühlte, daß jemand herausguckte, sah aber nichts.
    Kenny fragte: »Wie lange bleiben Sie?«
    »Ich weiß nicht genau. Können Sie
warten?«
    Er erklärte achselzuckend: »Na ja, hab
eh schon den Drei-Uhr-Flug von San Juan verpaßt.«
    »Wenn es länger als eine Viertelstunde dauert,
zahle ich zehn Dollar extra.«
    Damit war er zufrieden. Er stellte das
Radio an, lehnte sich zurück und zog sich die Dodgers-Kappe ins Gesicht. Als
ich zum Haus hinüberging, wehte rhythmische, Percussion-dominierte Musik hinter
mir her.
    Noch ehe ich anklopfen konnte, schwang
die Tür an gutgeölten Angeln auf. Eine große, kräftig gebaute Frau mit kleinen
grauen

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