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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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gebeugt, am Rand der geschützten Bucht, und ihre herabgreifenden
Luftwurzeln verbanden Land und Meer in einem wirren Geflecht. Ich duckte mich
darunter, behielt die Mole im Auge und bot mich den Mosquitos, die dort
hausten, als Frühstück dar. Die spindelförmigen Stämme und ausladenden Äste der
Bäume warfen im ersten Dämmerlicht groteske Schatten, und wenn sie sich im Wind
wiegten, klang ihr Ächzen wie letzte Sterbeseufzer. Es steigerte meine
Nervosität noch, und ich sah immer wieder auf meine Armbanduhr. Vier Uhr
siebenundzwanzig, und der Minutenzeiger schien sich nicht zu rühren.
    Vielleicht war die Uhr stehengeblieben.
Sie war garantiert wasserdicht und hatte den Pool im Fitneßcenter immer
unbeschadet überstanden. Aber wenn die Strapazen vorhin zuviel gewesen waren?
Wenn ich zu spät dran war? Vielleicht war Habiba schon dagewesen und wieder
gegangen. Oder sie hatte kommen wollen und war von Schechtmanns Wachen
aufgegriffen worden. Vielleicht war das Spiel, das wir in Schechtmanns
Wohnzimmer gespielt hatten, ja doch zu auffällig gewesen...
    Hör auf, McCone! Das ist nicht der
richtige Zeitpunkt, um durchzudrehen.
    Gefährlich hell jetzt schon, der Himmel
im Osten. Wie lange noch bis Sonnenaufgang? Zeit genug, daß Habiba es bis
hierher schafft und wir beide zum Boot schwimmen können? Und wenn... Bewegung
drüben auf der Mole. Habibas dunkler Schopf tauchte auf. Sie zog sich hoch, kam
auf den lockeren Steinen ins Rutschen, fiel auf der anderen Seite herunter. Es
mußte weh getan haben, aber sie gab keinen Laut von sich. Stand nur auf,
klopfte sich ab und stapfte weiter auf mich zu.
    Tapferes kleines Ding, dachte ich,
während ich die Badesandalen abstreifte und aus dem Schutz der Mangroven trat.
    Habiba sah mich und rannte nur
entgegen. Wir trafen uns auf halbem Weg, und sie schlang die Arme um meine
Hüften. »Du bist wirklich gekommen, um mich zu holen«, flüsterte sie.
    Ich löste ihre Arme, hockte mich hin.
»Keine Zeit zum Reden, wir müssen schnell weg von hier. Kannst du schwimmen?«
    »Ja.«
    »Gut.« Ich streifte das geliehene Hemd
ab und ließ es in den Sand fallen. Mochte die Flut es davonschwemmen. Mochten
Schechtmanns Leute es finden. Mir egal.
    Habiba zog T-Shirt und Shorts aus.
Darunter trug sie einen rosa Gymnastikanzug. »Ich hab gewußt, daß wir schwimmen
müssen«, sagte sie. »Als ich Dad gesagt habe, ich will nach Hause zu Omi, hat
er gesagt, von der Insel kann man nur weg, wenn man schwimmt, und wenn ich das
probiere, fressen mich die Haifische.«
    Und Zebediah Altagracia hielt sich für
einen schlechten Vater! »Hab keine Angst«, sagte ich. »Die Haifische sind viel
weiter draußen im Meer als die Stelle, wo das Boot auf uns wartet.«
    Habibas Körper versteifte sich. »Als
Onkel Klaus meine Mom und mich auf das Boot gebracht hat...«
    »Ich weiß, Habiba, aber wir können
jetzt nicht drüber reden. Wir dürfen noch nicht mal dran denken. Wir brauchen
unsere ganze Kraft zum Schwimmen. Bist du soweit?«
    »Ja.«
    »Dann komm.« Ich nahm sie an der Hand,
und wir wateten ins Wasser. Der Grund war felsig, und ich hatte Mühe, das
Gleichgewicht zu halten. Habiba strauchelte zweimal; einmal riß sie mich fast
mit. Als das Wasser schenkeltief war, tauchte ich unter und ließ mich treiben;
sie folgte meinem Beispiel.
    Ich sagte: »Ich nehme dich in den
Rettungsgriff. Weißt du, wie das geht?«
    »Hm.«
    »Ich ziehe dich. Du hilfst, indem du
mit den Beinen schlägst. Wenn wir auf der anderen Seite dieser Felsen sind,
müssen wir uns ein paar Minuten treiben lassen, bis wir ein Lichtsignal auf dem
Boot sehen. Dann schwimmen wir so schnell wie möglich hin. Ich werde dich nicht
loslassen; wir bleiben die ganze Zeit zusammen. Okay?«
    »Okay.«
    Ich faßte sie um den Oberkörper. Sie
war sehr leicht, und es war kein Problem, auf die andere Seite der Felsen zu
schwimmen. Wenn wir allerdings schnell vorankommen mußten...
    Halte dich gefälligst an deine eigenen
Ratschläge. Steck deine ganze Kraft in das, was jetzt zu tun ist.
    Hinter den Felsen war die Strömung
stärker. Ich schlug energisch mit den Beinen, um auf der Stelle zu bleiben, und
hielt Habiba an, dasselbe zu tun. Die Horizontlinie war jetzt erkennbar, aber
ich konnte nirgends die Form eines Schnellboots ausmachen. Ich ließ meinen
Blick hin und her wandern, hielt Ausschau nach Lloyd Fishers Signal. Habiba
guckte zum Land hin; ich hatte ihr aufgetragen, darauf zu achten, ob sich auf
dem Anwesen irgend etwas tat.
    Minuten

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