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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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vergingen — allmählich wurde
mir unbehaglich.
    Vielleicht hatte Lloyd sich einfach
davongemacht. Vielleicht hatte Regina sich in ihm getäuscht, und ich hätte ihm
nicht vertrauen dürfen.
    Mit piepsiger Stimme sagte Habiba: »Da
ist irgendwas los.«
    »Was?«
    »Gerade ist in meinem Häuschen Licht
angegangen.«
    Verdammt! Wo war Lloyd?
    »Jemand läuft raus. Ich glaube, es ist
meine Kinderfrau.«
    Mist!
    »Sie geht rauf zu dem großen Haus.«
    Ich widerstand dem Drang, mich
umzudrehen. Suchte weiter das Meer ab. Wo war Lloyd? Wo?
    Ein Licht leuchtete auf — ein gutes
Stück weiter, aber zu schaffen. »Keine Angst, Habiba. Gleich haben wir’s
geschafft. Wir sind schon beim Boot, bevor sie anfangen, nach dir zu suchen.«
    Ich schleppte sie mit all meiner Kraft.
     
    »Hier, schön abtrocknen. Sonst gibt’s
noch eine Erkältung.« Lloyd warf mir ein Handtuch zu und wickelte Habiba in ein
anderes.
    »Wir müssen hier weg«, sagte ich. »Sie
haben schon gemerkt, daß Habiba nicht mehr da ist.«
    »Bis sie dahinterkommen, daß sie nicht
mehr auf der Insel ist, sind wir schon längst auf und davon.« Er zog ein Ruder
hinter den Sitzen hervor und streckte es mir hin. »Habiba, du mußt dich vor dem
Sitz da auf den Boden ducken, damit du das Ruder nicht an den Kopf kriegst.
Sharon und ich rudern das Boot ein Stück weiter raus. Wenn wir dann den Motor
anschmeißen, kriegen sie nichts mit.«
    Sie verkroch sich zitternd, während
Lloyd das zweite Ruder hervorholte. Dann ruderten wir los. Meine Arme hatten
mir vorher schon weh getan, aber jetzt war jeder Schlag eine Qual. Mein Kopf
schmerzte ebenfalls — ein pulsierendes Stechen in den Nebenhöhlen. Und mein
Rücken — Herrgott, wurde ich langsam eine alte Frau? Im September würde ich
vierzig werden. Vierzig war doch kein Alter. Der Beginn der besten Jahre, wenn
man Jane Fonda hörte.
    Aber Jane war ja auch in den fünfzehn
Jahren vor ihrem vierzigsten Geburtstag nicht niedergestochen, fast ertränkt,
mit allerlei Prellungen und Gehirnerschütterungen bedacht und einmal in den
Hintern geschossen worden. Was wußte sie schon?
    Ich paddelte stoisch weiter, zu stolz,
um so zu ächzen und zu stöhnen, wie es mir nahegelegen hätte.
    Nach einer Ewigkeit, die faktisch
wahrscheinlich nur fünf Minuten betrug, erklärte Lloyd, jetzt könnten wir
aufhören. Ich streckte ihm mein Ruder hin, wobei ich ihm fast damit ins Gesicht
klatschte, und er verstaute beide. »Nehmen Sie Habiba auf den Schoß und
schnallen Sie sich an«, befahl er mir. »Jetzt düsen wir los.«
    Ich zog die Kleine vom Boden hoch. Sie
sagte nichts, schien aber auch nicht in der Lage, von sich aus mitzuhelfen. Ich
musterte ängstlich ihr Gesicht. Sie war bleich, und ihre Augen waren stier und
glasig. »Alles klar, Kleines?«
    Sie nickte wenig überzeugend.
    »Bleib einfach nur sitzen. Das
Schlimmste haben wir hinter uns.« Der Motor des Schnellboots röhrte durch die
Stille. Ich hatte kaum die Zeit, den Gurt zu schließen, ehe wir mit einem
Raketenschub davonschossen, der uns tief in die Sitzpolster drückte. Düsen war
gar kein Ausdruck.
    Das Schlimmste haben wir hinter uns,
versicherte ich mir selbst. Einige Stunden später sollte sich das als glatte
Lüge erweisen.
     
    Um kurz nach neun war das
Abflugterminal des Prinzessin-Juliana-Flughafens gerammelt voll. Lange
Schlangen zogen sich von den Ticketschaltern bis auf den Gehweg hinaus. Eine
Gruppe mürrischer Jugendlicher saß auf Gepäckstücken mitten in der Halle und
zwang jeden zu einem Umweg. Viele Leute sahen so geschafft und zerknittert aus,
als hätten sie die ganze Nacht durchgemacht. In dieser Menge würden Habiba und
ich nicht auffallen, trotz unserer Müdigkeit und des billigen, ziemlich
schlecht passenden Outfits aus Shorts und T-Shirt, das ich ihr bei einem
Straßenhändler gekauft hatte, nachdem wir uns am Kai von Philipsburg von Lloyd
bisher getrennt hatten.
    Gage Renshaw hatte gesagt, ich würde
den Kurier mit Habibas Paß an seinem RKI-Blazer erkennen. Ich entdeckte ihn
rasch. Er lehnte an der Wand neben dem Eingang des Duty-free-Shops, das viel zu
dicke Kleidungsstück über die Schulter drapiert, Schweißperlen auf der Stirn.
Habiba und ich schlängelten uns Hand in Hand zu ihm durch, und ich zeigte ihm
meinen Ausweis.
    Er studierte ihn, nickte und zog einen
Umschlag aus der Innentasche des Blazers. Als er ihn mir gab, sagte er: »Sieht
aus, als hätten Sie mir einen kleinen Urlaub auf Firmenkosten verschafft.«
    »Sie bleiben noch ein

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