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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ich
driftete immer wieder weg, den Blick starr auf die schwarzweißen
Fußbodenfliesen geheftet. Die Was-Wenns, die durch meinen Kopf hallten, drohten
den Lärm um uns herum zu übertönen. Als Habiba ihr Eis aufgegessen hatte,
klemmte ich ein paar Scheine unter meinen Teller und sagte: »Laß uns mal
nachfragen, ob sie schon genauer wissen, wann unser Flugzeug geht.«
    Sie nickte, stand auf und schob ihre
Hand in meine, als wir uns zum Gehen wandten.
    Die Halle unten war noch voller, und
die Stimmung wurde gereizter. Ein Mann im Busineßanzug schimpfte auf die
Jugendlichen ein, weil sie den Durchgang versperrten; eine Frau in einem
paillettenbesetzten T-Shirt schrie eine Schalterangestellte an. Ich strebte auf
den Erster-Klasse-Schalter zu, aber Habiba sträubte sich und zerrte an meiner
Hand. Ich guckte sie an und sah Panik in ihren Augen.
    »Was? Wer ist da?«
    »Einer von Onkel Klaus’ Wächtern.
Drüben, wo die Läden sind, bei dem Mann mit dem Besen.«
    Ich guckte verstohlen hinüber. Ein
großer Mann in einem Khaki-Hemd und Shorts redete mit einem Mann vom
Reinigungsdienst. Er zeigte mit einer Hand Habibas Größe an, dann meine. Er
beschrieb uns. Der Mann mit dem Besen runzelte die Stirn, nickte dann und
zeigte auf die Treppe zum Restaurant. Der Mann im Khakizeug steckte ihm ein
Trinkgeld zu und zwängte sich durch die Menge.
    »Wir müssen hier raus.« Ich strebte auf
die automatischen Türen zu. Habiba verharrte noch einen Moment auf der Stelle
und hielt mich fest, dann trabte sie mit. Draußen standen Taxen am Bordstein
aufgereiht; ich steuerte das nächststehende an, besann mich dann aber eines
besseren, als ich ein vertrautes Gesicht unter einer Dodgers-Kappe sichtete.
    »Kenny! Erinnern Sie sich noch an
mich?«
    Er kniff die Augen zusammen. »...Sie
sind die Lady, die ich zu Miss Altagracia gebracht hab.« Seine Miene war nicht
sonderlich begeistert; er fürchtete wohl, ich wollte ihm noch mehr fromme
Traktätchen aufdrängen.
    »Können Sie uns wieder dorthin bringen?
Für den doppelten Preis, weil wir zu zweit sind?«
    »Na, klar doch, steigen Sie ein.«
    Als Kenny die Fondtür hinter uns
schloß, stöhnte Habiba: »Da ist Onkel Klaus, dort in dem Taxi! Er hat uns
gesehen!«
    Ich folgte ihrem ausgestreckten Finger.
Es war tatsächlich Schechtmann, der aus einem grünen Datsun zu uns
herüberstarrte. Kenny stieg ein, und ich beugte mich vor. »Sehen Sie den grünen
Wagen dahinten, der gerade ausparkt? Er wird uns folgen. Können Sie ihn
abhängen?«
    Kenny sah zu dem Datsun hinüber und
lachte. »Hat der Hund Flöhe? Das ist Eddie-die-Schnecke Frazier. Festhalten!«
    Er parkte rückwärts aus und preschte,
immer weiter im Rückwärtsgang, die Zufahrt entlang, die als Einbahnstraße in
der Gegenrichtung markiert war. Wich in einem kühnen Bogen einer herannahenden
Limousine aus. Rammte den ersten Gang rein und schoß in eine schmale Passage
zwischen einem Gemischtwarenladen und einer Tankstelle, wobei er wie ein Irrer
vor sich hinwieherte.
    Ich sah Habiba an. Ihre Augen waren so
lebendig, wie ich sie noch nie gesehen hatte, und ihre Lippen halb geöffnet.
    Kenny jagte zwischen zwei Häuserzeilen
hindurch. Bog mit quietschenden Reifen nach links in eine Nebenstraße ein. Ich
spähte durchs Rückfenster — keine Spur von dem grünen Taxi. »Eddie-die-Schnecke
guckt immer noch, wie er aus dem Flughafen rauskommt«, versicherte mir Kenny.
    Dann preschten wir in rasantem Tempo
die Zufahrt eines knallig-pinkfarbenen Hotels hinauf. Die Palmen waren mit
Weihnachtsgirlanden geschmückt, obwohl wir Mai hatten, und elektrisch
illuminierte Gipsrentiere tollten über den Rasen. Kenny grüßte den Portier, der
wie einer der fleißigen Helfer des Weihnachtsmannes aussah, und wir folgten
einer Lieferantenausfahrt. Als wir wieder aus dem Hotelgelände auftauchten,
waren wir einen Häuserblock von der großen Durchgangsstraße entfernt.
    »Klasse, was?« fragte unser Chauffeur.
    »Ja!« rief Habiba —und lächelte
tatsächlich.
     
     
     
     

20
    Ziegen stoben auseinander und rannten
davon, als Kenny in Regina Altagracias Hof einfuhr. Die Eingangstür des kleinen
geweißten Hauses öffnete sich fast im selben Moment, und die große Frau trat
heraus, eine Hand über die Augen gelegt. Jetzt, da ich ihren Vater
kennengelernt hatte, sah ich die Ähnlichkeit: Sie hatten beide den gleichen
langknochigen Körperbau, die gleiche gerade Nase und das gleiche kräftige Kinn.
Und den gleichen stählernen Willen. Sie kam

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