Ein wildes Herz
welche Möglichkeiten in seinem kleinen Körper noch schlummerten. Etwas so Schönes hatte er noch nie gesehen.
Das hatte auch sonst niemand. Die Kanten des wie ein Diamant geschnittenen Spielfeldes füllten sich mit Zuschauern, und sie alle nahmen den Spitznamen auf, den Sam rief, bis schließlich jeder den Atem anhielt, wenn Charlie den Schläger schwang, und alle schrieen: »BEEEEEEBOOOO!«, sobald der harte Holzschläger auf das abgewetzte Leder des Balles traf. Sie sahen etwas, das sie im realen Leben noch nie zuvor gesehen hatten, und niemand dort würde es jemals vergessen. Von diesem Tage an blieb der Spitzname an ihm haften.
»Muss wohl lange gespielt haben, der Junge«, sagte einer der Männer. »War vielleicht sogar Profi.«
»Glaube ich nicht. Vielleicht Triple A. Aber gespielt hat er auf jeden Fall.«
Als er das Feld endlich verließ, waren Charlie Beales Hals und seine Schultern rosig und schweißnass, und die Zuschauermenge zerstreute sich, weil sie das Interesse am Spiel verloren hatte. Ohne ihn war das Match vorüber.
Jemand holte ein Handtuch aus seinem Kofferraum, und er dankte, wischte sich trocken, zog sein Hemd wieder an, und es gab keine einzige Frau in der Nähe, die ihm nicht dabei zugeschaut hätte, bis auch der letzte Knopf geschlossen war. Die Männer standen herum, klopften ihm anerkennend auf den Rücken. Feine Sache, Beebo. Feine Sache. Das war ihre Art, Beebo zu sagen, dass er in Ordnung war, ganz gleich, wo er herkam, ganz gleich, wie seltsam er redete. Für sie war er in Ordnung.
Als die Menge sich zerstreute, bemerkte Charlie Sam und ging mit ihm aufs Spielfeld, kniete hinter der Batter’s Box und erteilte ihm die erste Lektion. Er zeigte ihm, wie man den Schläger hält, wie man den Ball mit den Augen fixiert, ohne zu wanken, und dann aus den Hüften heraus zum Schlag ansetzt. Sam sollte nie wieder in seinem Leben einen Schlag ausführen, ohne das Gefühl zu haben, dass Charlie hinter ihm stand, dass Charlies Hände auf seinen lagen, dass er sie zurück und wieder nach vorne zog, hin zum Ball, den er dann in die entferntesten Winkel des Spielfeldes donnerte, so schnell, dass man ihm mit den Augen nicht folgen konnte. Für den Rest seines Lebens hörte er jedes Mal, wenn er auf einen Pitch wartete, Charlies Stimme in seinem Ohr, die ihm sagte, die Kraft komme nicht aus den Armen, sondern aus der Hüfte.
Später saß Charlie mit Will und Alma zusammen, um sich abzukühlen, während Sam immer noch am Spielfeldrand herumlungerte und auf den Moment wartete, in dem Charlie wieder den Schläger in die Hand nehmen würde. Bitten wollte er ihn nicht darum, aber er wollte auch nichts verpassen. Alma erzählte Charlie Geschichten über die anderen Besucher des Austernessens.
»Scheinen alle nett zu sein«, sagte Charlie und betrachtete die Leute, alle in sauberen Hemden und Kleidern, wie sie sich begrüßten, als hätten sie sich lange, lange nicht mehr gesehen.
»Ich erzähl Ihnen eine Geschichte«, sagte Alma. »Eine Geschichte, die mir meine Mutter mal erzählt hat, aus den Zeiten der großen Depression. Der Säufer der Stadt sitzt auf der Treppe zum Gerichtsgebäude. Da kommt ein Landstreicher in die Stadt, irgendeine Stadt, bleibt stehen und fragt:
›Was für eine Stadt ist das hier?‹ und der Säufer zieht die Augenbrauen hoch, schaut ihn an und sagt: ›Ach, das ist eine schreckliche Stadt. Sie ist voller Lügner und Betrüger und lauter Leuten, die nichts anderes im Sinn haben als Gemeinheiten. ‹
Und der Landstreicher dankt ihm und zieht weiter, in der Hoffnung, was Besseres zu finden. Kurze Zeit später kommt wieder einer vorbei und fragt: ›Was für eine Stadt ist das hier?‹, und der alte Säufer sagt zu ihm: ›Es ist eine wundervolle Stadt. Die Leute sind freundlich und nett, behandeln Fremde gut und erziehen ihre Kinder zu anständigen Menschen. ‹
Da beschließt der Landstreicher, ein wenig zu bleiben, und er kriegt hier was zugesteckt und da, und dann findet er sogar Arbeit und noch mehr Arbeit, und bald, als die Zeiten besser werden, nimmt er sich eine Frau, kauft sich ein kleines Haus und zieht ein paar Kinder groß. Und erzieht sie, wie der Rest der Stadt, zu anständigen Menschen.«
Einen Moment lang beobachteten sie die Menge, dann schaute Charlie sie an. »Geht es in dieser Geschichte um die Stadt, um den Säufer oder um den Landstreicher?«
»Ich glaube, es geht darum, wie man das findet, wonach man sucht. Was möchten Sie finden, Mr.
Weitere Kostenlose Bücher