Ein wildes Herz
paar Jahren hat auch die Armee versucht, einige Jungs von dort zu rekrutieren. Die Jungs haben sich in den Wäldern versteckt, bis die Soldaten wieder abzogen. Aber ihre Kinder gehen immer noch nicht zur Schule, und von ihren Jungs ist keiner in die Armee gegangen. Wenn etwas schiefläuft, dann entscheiden sie es selbst. Wenn sie heiraten – sofern man sich dort überhaupt kirchlich trauen lässt – oder wenn jemand stirbt, dann kümmern sie sich selbst darum. Niemand verlässt das Tal.
Ab und zu sieht man mal jemanden in der Stadt, Schuhe kaufen oder Zucker, Sachen, die sie selber nicht herstellen oder anbauen können. Aber das kommt nicht oft vor.
Harrison Glass war bis zu seinem achtundvierzigsten Lebensjahr Junggeselle. Immerhin kümmerte er sich um seine Mutter, eine launische Dame, die oft irgendwelche Anfälle hatte und nicht nur krank, sondern auch noch eine Hypochonderin war. Schmal und hinfällig, als wäre sie in schlechter Erde gepflanzt worden. Drei Wochen nachdem sie gestorben war und er sie zu Grabe getragen hatte, fuhr er zum ersten Mal nach Arnold’s Valley. Jeder dachte, er wolle dort Land kaufen. Er redete mit niemandem, und niemand redete mit ihm. Man sah nur, wie er in diesem großen Auto
auf den schlammigen Landstraßen unterwegs war. Aber es war nicht das Land, auf das er aus war.
Es heißt, er sei zwölf Mal dort gewesen. Bei seinem dritten Besuch sah er ein Mädchen in einem Garten, und dann fuhr er noch öfter hin und suchte nach ihr, in dem Garten, auf den Feldern oder auf der Veranda, wo sie manchmal saß.
Bei seinem letzten Besuch hielt er seinen Wagen an und stieg vor ihrem Haus aus. Er betrat den Garten, klopfte an die Tür und sprach mit ihrem Vater. Und er kaufte sie gegen Bares, zusammen mit der Farm, die, was ich kaum glauben kann, keiner von beiden jemals wieder betrat. Er kaufte sie für ein oder zweitausend Dollar, kann mehr gewesen sein oder weniger. Sie war siebzehn.«
»Er hat sie gekauft wie ein Stück Vieh.«
»Das war vor drei Jahren. Er brachte sie in die Stadt, und er heiratete sie. Übrigens waren wir, Will und ich, bei der Trauung. Mehr als ›Ja‹ hat sie nicht gesagt, den ganzen Tag nicht. Dann fuhr er mit ihr an den einzigen Ort, wo sie hinwollte, nämlich nach Hollywood, wo sie in einen Bus steigen und sich all die Häuser der Filmstars anschauen konnte – fünf Tage hin, eine Woche dort, fünf Tage zurück.
Und seit der Zeit hat sie auch nicht viel mehr geredet. Er hat ihr einen eigenen Wagen gekauft, und damit fährt sie jeden zweiten Tag nach Lexington ins Kino. Sie ist verrückt nach Filmen.
Ihr Name ist Sylvan. Ist das nicht ein hübscher Name? Könnte ihr richtiger Name sein, irgendein alter Name aus den Bergen, oder sie hat ihn im Radio gehört oder in irgendeinem Film aufgeschnappt. Sylvan Glass.
Wenn sie im Kino oder in einer Filmzeitschrift ein Kleid sieht, das ihr gefällt, schneidet sie sich das Bild aus und lässt sich dann von einer Frau aus der Stadt eine günstige Version
von dem nähen, was man in Hollywood trägt. So hat sie sich auch diese besondere Art zu sprechen zugelegt. Schon als kleines Mädchen hat sie irgendwelche Soaps im Radio gehört, und als ihr Boaty später dann das Auto gekauft hatte, eben die Hollywoodfilme im Kino gesehen.
Ach, und das ist ihre echte Haarfarbe. So blond ist so ziemlich jeder in Arnold’s Valley. Sie wird nie mehr dorthin zurückkehren.«
»Alma ist mal zu Boatys Haus gefahren – das ist dieses große Haus auf dem Weg zum Schlachthof – und hat sie gefragt, ob sie auf einen Eistee zu uns in die Stadt kommen möchte.« Will schaute seine Frau an.
»Sie sagte, das würde sie gern«, fügte Alma lächelnd hinzu. »Ganz freundlich hat sie das gesagt. Aber gekommen ist sie nie. Und ich hab sie nie wieder eingeladen.«
Charlie schaute Sylvan kein einziges Mal an, während Alma sprach. Er nahm einfach nur alles in sich auf. Seit jenem Tag in der Metzgerei, als er sie zum ersten Mal sah, hatte sich diese Frau in sein Hirn gebrannt, lebendig und schön, eine Wirkung, die sie auf die meisten Männer und auch Frauen hatte.
»Das ist ein Paradies, da draußen in Arnold’s Valley«, sagte Alma. »Gehegt und gepflegt. Diese Leute haben nichts, kein Geld, keine Bildung – keine wirkliche Moral, sagen viele Leute, obwohl ich das nicht glaube –, nichts außer ihrem Land. Sie wissen nichts darüber, was in der Welt vorgeht. Sie scheren sich nur um das Land, auf dem sie leben, um ihre
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