Ein wildes Herz
alten Leuten niemand zurückblieb, der sich um das kümmern konnte, was die Jungen »Zuhause« nannten.
Man denke sich Boaty, wie er mit seinen achtundvierzig Jahren, seinen knapp eins siebzig, seinen hundertvierzig Kilo des Nachts in seinem kalten Bett liegt und von einem jungen blonden Mädchen träumt, das er heiraten und mit dem er eine Familie gründen könnte. Nicht, dass er nicht gewusst hätte, dass er ein unansehnlicher und gieriger Mann war – allerdings findig genug, seine Gier zu befriedigen. Es war ihm einfach nur gleichgültig, so war er eben. Boaty war ein dicker Klumpen Teig, der nie zu Brot gebacken worden war, wertlos als Nahrung, unförmig wie Sauerteig.
Boaty war noch nie mit einer Frau zusammen gewesen. Selbst als er noch nicht so dick war, war er immer ein ungehobelter Klotz gewesen, hochmütig, was seine Herkunft betraf, aber dabei zügellos und nachlässig sich selbst gegenüber, sowohl in der Öffentlichkeit als auch privat. Seine Kenntnisse über Frauen bezog er aus den Männermagazinen, die er in Staunton kaufte und in einer Schachtel unter seinem Bett aufbewahrte. Er trug fleischfarbene Krawatten, auf deren Rückseite Pin-up-Girls ihre Brüste zeigten, und machte sich einen Spaß daraus, diese bei Sitzungen des Rotary-Clubs gläubigen Männern zu zeigen.
Doch selbst jemand wie Boaty Glass hatte Gefühle, obwohl dies nie jemand bemerkte. Man mochte von ihm sagen, was man wollte – er hatte sein ganzes Leben lang hart gearbeitet und lebte trotz seines Reichtums immer noch allein. Er hatte den traurigen und besorgten Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter gesehen, als sie starb und einen letzten Blick auf ihren Sohn warf – einen schweren, traurigen, kinderlosen, reichen Mann. Er hatte das Gefühl, es ihr und sich selbst schuldig zu sein, sich eine Frau und Kinder zuzulegen: eine umwerfende Frau, nur vom Allerfeinsten, die er günstig bekommen und so gewieft an Land ziehen
würde wie bei allen anderen Geschäften, die er anpackte, mit der er Kinder zeugen würde, deren Gesichtszüge mit jeder Nacht, die er von ihnen träumte, bezaubernder wurden – seine Sprösslinge in seinem eigenen, immer größer werdenden Reich. Große, gutaussehende, muskulöse Jungs und schlanke Mädchen mit guten Manieren. Beliebte Kinder, Kinder, bei allen begehrt, die als Erwachsene ebenso erfolgreich und respektiert sein würden wie er, Boaty, das wusste er, es niemals sein würde.
Und so lag er in seinem Bett und träumte, bis er es schließlich nicht mehr aushielt, all die Zurückweisungen von den richtigen Mädchen aus den richtigen Familien, und so ging er eines Tages auf Einkaufstour. Man stelle sich das vor: wie er in seinem schwarzen Cadillac auf den Straßen im Hinterland unterwegs war, wie er an einsamen Bauernhöfen vorbeikam, wo man noch vor zehn Jahren ohne Strom und fließendes Wasser ausgekommen war, wo es Kinder gab, die noch nie jemanden getroffen hatten, der nicht mit ihnen verwandt war. Man stelle sich Boaty vor, wie er fuhr und schaute und sich jedes weibliche Gesicht ansah, dem er begegnete. Mädchen von zwölf oder dreizehn, bestenfalls fünfzehn, barfüßige Mädchen, die die Kleider ihrer Mütter oder älteren Schwestern auftrugen, die ihnen schlaff um die Schultern hingen und sich über den noch flachen Brüsten im Wind bauschten. Die blonden Mädchen gefielen ihm am besten.
Er fand ein Mädchen. Sie war vierzehn. Sie stand auf einer Veranda in einer Talsenke, hatte ein Baby auf dem Arm und schaute in den Himmel. Boaty hielt seinen Wagen an, stieg aus und ging zu der Veranda, um an die Tür zu klopfen. Zuerst sprach er mit der Mutter, während das Mädchen nach draußen ging, um sich den Wagen anzuschauen und die
kleine Hand des Babys schüchtern auf die heiße, glänzende Oberfläche zu legen. Dann holte er eine Rolle Geldscheine hervor und redete mit dem Vater, oder dem Mann, den er für den Vater hielt. Ein Mann, der eigentlich zu alt und zu müde aussah, um ihr Vater zu sein, der dies aber behauptete, ein Mann, der bucklig in der Tür stand, mit dicken Armen und einer Hühnerbrust, und der sich ganz ruhig anhörte, was Boaty zu sagen hatte, was für ein Angebot er ihm machte, und dann ging er hinein und holte sein Gewehr und stand nur einfach da in der Tür, ohne etwas zu sagen, während Boaty die Hände hob, in denen immer noch die Geldscheine sichtbar waren, und langsam rückwärts die Treppe hinab und zu seinem Wagen ging. Er stieg vorsichtig ein, ließ den Motor
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