Ein wildes Herz
nicht mehr sehen konnte. Fast schien es, als wolle sie noch etwas rufen, irgendein letztes Wort, aber es kam kein Laut aus ihrer Kehle. Nach einer Weile wandte sie sich um und schaute starr nach vorne. Auf ihren Wangen glitzerten Tränen. Sie wischte sie nicht weg und versuchte auch nicht, sie zu verbergen.
»Jetzt?«, fragte Boaty.
Sie nickte, und schweigend fuhren sie die zwanzig Meilen nach Hause. In Boatys Haus wartete ein Friedensrichter auf sie, sowie Will Haislett und Alma, die Boaty darum gebeten hatte, seine Trauzeugen zu sein, weil Will praktisch der Einzige weit und breit war, der dies für ihn tun wollte. Neben ihnen standen die Vormänner von zwei Farmen, die Boaty gehörten, Landarbeiter mit schmutzigen Schuhen und sauberen weißen Hemden, bis zum Hals zugeknöpft. Ihre großen roten Hände kneteten in der Hitze zerknüllte Taschentücher.
Sylvan unterschrieb ein paar Papiere, ohne sie vorher durchzulesen. Was bedeutete es schon, was auf dem Papier stand? Dann traten sie beide vor den Friedensrichter, er sprach seinen Text, und dann sagte sie das einzige weitere Wort, das sie an diesem Tag von sich geben würde: »Ja.« Das war alles.
Louise, die farbige Haushälterin, hatte etwas aufgeschnittenen Schinken und Kartoffelsalat sowie einen Kokoskuchen hergerichtet, aber es wurde nicht viel gegessen. Will und Boaty hatten sich bis auf ein paar Erinnerungen an die alten Zeiten nicht viel zu sagen, und da das an einem Hochzeitstag unangebracht war, schwiegen sie lieber. Alma versuchte, ein Gespräch mit Sylvan anzufangen, doch die junge
Braut saß einfach nur da, sah hübsch aus und nickte, als wäre sie hypnotisiert. Der Friedensrichter dachte wehmütig an sein warmes Abendessen, das zu Hause auf ihn wartete, und den Vormännern war es peinlich, für ihren Arbeitgeber ebenso wie für das Mädchen, weshalb sie das wenige, was sie überhaupt aßen, schnell verzehrten und dann gingen. Will und Alma hielten in der unbeholfenen Stille etwas länger durch, während Sylvan, jetzt Mrs. Glass, still und reglos dasaß wie eine Porzellanpuppe, doch recht bald waren auch sie weg, und die Farbige räumte auf, während Boaty und seine frischgebackene Braut im Salon saßen. Als sie allein waren, zog Sylvan ihre Schuhe aus.
Boaty dachte, es sei vielleicht besser, mit ihr zu reden, doch bis auf seine Mutter war er nie mit einer Frau allein gewesen, und so hatte er keine Ahnung, was er sagen sollte.
»Brauchst du ein Badezimmer?«, war alles, was ihm einfiel, und so zeigte er ihr den Weg und blieb draußen vor der Tür stehen und lauschte, während sie drinnen war, bemerkte, dass sie sich nicht die Hände wusch, nachdem sie die Toilettenspülung bedient hatte. Irgendwie machte ihn das nervös.
Als sie herauskam, warf er ihr einen Blick zu, ging kommentarlos ins Bad und begann, ihr ein Bad einzulassen. Er reichte ihr ein Stück teure französische Seife, die er ihr – das einzige Hochzeitsgeschenk – gekauft hatte, nahm sie sanft am Ellbogen und führte sie ins Bad, wo er sie allein ließ. Lange Zeit war kein Mucks zu hören, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte, dann hörte Boaty, wie ihre Kleider zu Boden fielen und sie sich leise ins Wasser gleiten ließ.
Das alles hörte er. Die Vorstellung von ihr, nackt in dem heißen Wasser, erregte ihn.
Nach etwa einer halben Stunde kam sie heraus, angezogen,
das Haar klebte an ihrem feuchten Hals. Sie kehrten in den Salon zurück und setzten sich, aber er roch ihn immer noch an ihr oder bildete es sich zumindest ein: den Geruch nach Schweinemist, nach Abort, nach dem schwarzgebrannten Whiskey, der ihrer Familie seit Generationen durch die Adern floss. Er stand auf, füllte noch einmal die Wanne, und sie schien zu wissen, was zu tun war, und wieder stand er vor der Tür und lauschte.
Den ganzen Tag über sagte sie kein Wort zu ihm. Sie lächelte nicht, aber sie wirkte auch nicht besorgt. Sie zeigte überhaupt keine Regung.
An jenem Nachmittag ließ er sie drei Mal baden, bis alle Handtücher feucht an den Haken hingen und er sich endlich mit seiner frischgebackenen Frau in sein Wohnzimmer setzen konnte und nicht mehr den Dorfgestank an ihr wahrnahm. Bis das alles erledigt war und sie zu seiner Zufriedenheit sauber war, hatte ihre Haut die Farbe des Sonnenuntergangs, der draußen gerade am Himmel stand, es war wieder Zeit zu essen, und so setzten sie sich an den Tisch vor die beiden Teller, die Louise hatte stehen lassen, mit Wachspapier bedeckt, aßen ein wenig,
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