Ein Wirbelwind namens Millie (German Edition)
Mittagsschlaf. Komm, ich decke dein Häschen auch noch zu. Schlaf gut.“
Miss Fairweather kam aus der Kinderzimmertür und zog sie hinter sich zu. Irgendwann zwischen dem Frühstück und dem Nachmittag hatte sie sich umgezogen. Sie trug jetzt einen schwarzen Rock, eine schlichte, weiße Bluse und eine leuchtend weiße Schürze.
„Wie geht es meinem Sohn?“
„Er ist eine wahre Freude.“ Sie verzog kurz das Gesicht. „Jedenfalls die meiste Zeit. Ich habe ihm vorhin seinen Ball weggenommen. Er ist so groß und hart. Ich hatte Angst, dass er damit etwas kaputtmacht. Vielleicht habe ich ja noch genug Wolle, dann stricke ich ihm etwas Weicheres, das er werfen kann.“
„Wie wäre es mit einem Paar Socken?“ Bei seinem Vorschlag wurde sie rot, deshalb redete er gleich weiter: „Ich habe mehr als genug. Wenn eins davon fehlte, würde ich es gar nicht merken.“ Sofort ging er in sein Schlafzimmer, zog ein Paar Socken aus der Schublade und stopfte sie ineinander zu einem klumpigen Ball. Schwarz. Alle seine Socken waren schwarz ... so wie seine Krawatten. Zeichen seiner Trauer um seine Frau.
Er und Henrietta hatten eine gute Ehe geführt. Vielleicht sogar eine glückliche – außer, dass ihre Mutter sich immer wieder einmischen musste. Das herrische Verhalten der Mutter gegenüber der Tochter war Daniel bereits bei seiner ersten Begegnung mit Henrietta aufgefallen. Daniel saß in einem Restaurant am Nachbartisch und konnte nicht anders, als der Unterhaltung zwischen Mrs Renfroe und ihrer Tochter zuzuhören. Während des gesamten Essens redete sie ununterbrochen auf Henrietta ein und ermahnte sie wie ein kleines, ungezogenes Kind. Außerdem forderte sie, dass sie sich beim Orgelspielen etwas mehr anstrengen sollte, damit sie endlich im Gottesdienst spielen konnte. Obwohl er sie gar nicht belauschen wollte, zählte die Mutter die Fehler und Missgeschicke ihrer Tochter so laut auf, dass er sie hören musste, ob er wollte oder nicht. Das Schlimmste von allem war, dass die Tochter mittlerweile dreiundzwanzig war und dass noch kein Mann um ihre Hand angehalten hatte. Diesen Vorwurf äußerte Mrs Renfroe im gleichen Augenblick, als der Kellner den Kuchen brachte – eine kleine Torte, die mit zarten, rosafarbenen Marzipanblumen dekoriert war.
Kein Mensch verdiente es, so erniedrigt zu werden – schon gar nicht, während gerade die Geburtstagstorte auf den Tisch kam. Als er von seinem Tisch aufstand, trat Daniel absichtlich auf den Saum von Henriettas Kleid. Daraufhin entschuldigte er sich nicht nur, sondern bestand darauf, mit ihr zu einer Schneiderin zu gehen, damit sie ihr ein neues Kleid nähte. Während sie dort waren, fragte Daniel Henrietta, ob sie ihm eine Kirche empfehlen könnte, da er nur auf der Durchreise war und sich in der Stadt nicht auskannte.
Drei Monate später gaben sich Henrietta und Daniel in dieser Kirche das Jawort. Nur einmal hatte sie angedeutet, dass ihr Leben vor Daniel schwierig gewesen war. Sie hatte gesagt, dass Jesus ihr Erlöser war, aber Daniel ihr Ritter in glänzender Rüstung. Doch Daniel wusste es besser. Zu sehr war er mit geschäftlichen Dingen beschäftigt gewesen und hatte deshalb die kleinen Zeichen nicht bemerkt – jedenfalls warf ihm das seine Schwiegermutter später vor. Wären die Anschuldigungen nur aus ihrem Mund gekommen, hätte er sie leicht abtun können, da sie sowieso nur negativ über ihn und ihre Tochter sprach. Doch auch das Kindermädchen Miss Jenkin bestätigte, dass Henrietta in der zweiten Schwangerschaft immer wieder unter Schwindel litt. Henrietta wollte ihn damit nicht belasten, deshalb hatte sie sich nie bei ihm beschwert und versucht, ohne seine Hilfe auszukommen, damit er sich weiterhin ganz um seine Arbeit kümmern konnte. Am Ende musste Daniel erkennen, dass er Henrietta nicht gerettet hatte. Dadurch, dass ihm seine Arbeit immer wichtiger gewesen war als alles andere, war er indirekt auch für ihren Tod verantwortlich.
* * *
In der Kabine war alles still, als Daniel die Tür öffnete. Eine einsame Kerosinlampe hing an einem Haken über dem Wohnzimmertisch. Einige der etwas moderneren Schiffe, mit denen er gefahren war, besaßen schon elektrisches Licht, doch die Opportunity überquerte den Ozean schon zu lange für solche modernen Annehmlichkeiten. Auf dem Oberdeck des großen Schiffs ragten immer noch mehrere Masten in den Himmel – eine Erinnerung an die Zeiten, als Segel und der Wind und nicht Maschinen und moderne Technologie das Schiff
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