Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Street. Wir gingen nicht bis ganz dorthin, nur bis der Bahnsteig in Sicht kam. Kumar überprüfte seine Luftschächte und meinte, wenn unser Mister X von dieser U-Bahn-Station gekommen wäre, hätte das stets wachsame Kamerakontrollpersonal ihn garantiert gesehen. »Wie zum Teufel ist der auf die Gleise gekommen?«
»Vielleicht gibt’s noch einen anderen Zugang«, sagte ich. »Einen, der nicht in den Plänen eingezeichnet ist, irgendwas, was wir verpasst haben.«
»Ich werde mal mit dem zuständigen Streckengänger reden«,sagte Kumar. »Der weiß das bestimmt.« Die Streckengänger verbrachten ihre Nächte damit, auf der Suche nach Defekten durch die Tunnel zu streifen, und waren Kumar zufolge die Hüter der tiefsten Geheimnisse der Londoner Tube. »Oder so«, sagte er.
Ich überließ es Kumar, auf seinen einheimischen Führer zu warten, und machte mich auf den Weg zurück zur Station Baker Street. Ungefähr auf halbem Wege rutschte ich auf etwas losem Schotter aus und fiel der Länge nach hin. Dabei fing ich mich natürlich mit den Händen ab, und es entging mir nicht, dass meine linke Handfläche genau auf der Stromschiene zu liegen kam. Mister Knister Peter Grant – welch eine Karriere.
Als ich zurück auf den Bahnsteig kletterte, war ich völlig verschwitzt. Ich wischte mir übers Gesicht und bemerkte eine dünne Schmutzschicht auf meinen Wangen. Meine Hände wurden ganz schwarz davon. Staub vom Schotterbett, vermutete ich, vielleicht auch alter Ruß von damals, als gepolsterte Wagen voll würdevoller Viktorianer von Dampflokomotiven durch die Tunnel gezogen worden waren.
»Um Himmels willen, kann nicht jemand dem Jungen ein Taschentuch geben?«, fragte eine dröhnende Stimme mit nordenglischer Färbung. »Und dann erklärt mir gefälligst, was in drei Teufels Namen er hier macht.«
Detective Chief Inspector Seawoll war ein massiger Mann aus einem kleinen Ort in der Nähe von Manchester – einem von diesen Orten, die (wie Stephanopoulos einmal bemerkt hatte) erklärten, woher zum Beispiel Morrisseys heitere Einstellung zum Leben kam. Wir hatten schon einmalzusammengearbeitet – er hatte mich auf der Bühne des Royal Opera House zu erhängen versucht, und ich hatte ihm fünf Milliliter Elefantentranquilizer in den Kreislauf gejagt. Glauben Sie mir, in der damaligen Situation war das alles vollkommen einleuchtend. Meiner Meinung nach waren wir quitt, außer dass er vier Monate krankgeschrieben wurde, was die meisten vernünftigen Polizisten als Bonus betrachtet hätten.
Die vier Monate waren offensichtlich um, und Seawoll war zurück an der Spitze seiner Mordkommission. Er hatte an einer Stelle auf dem Bahnsteig Position bezogen, wo er ein Auge auf die Spurensicherer haben konnte, ohne seinen Kamelhaarmantel und die handgefertigten Tim-Little-Schuhe ablegen zu müssen. Jetzt winkte er mich und Stephanopoulos zu sich.
»Freut mich zu sehen, dass es Ihnen wieder gut geht, Sir«, sagte ich, bevor ich mich beherrschen konnte.
Seawoll sah Stephanopoulos an. »Was macht der hier?«
»Etwas an der Sache kam mir komisch vor«, erklärte sie.
Seawoll seufzte. »Sie haben mir meine Miriam auf Abwege geführt«, sagte er zu mir. »Aber jetzt, wo ich wieder da bin, will ich doch hoffen, dass wir zur guten alten indiziengestützten Ermittlungsarbeit zurückkehren können und der abstruse Scheiß sich deutlich reduziert.«
»Ja, Sir«, sagte ich.
»Und wo wir schon dabei sind – in was für einen abstrusen Scheiß wollen Sie mich jetzt wieder reinreiten?«
»Ich glaube nicht, dass hier Magie im – «
Seawoll schnitt mir mit einer scharfen Handbewegung das Wort ab. »Ich will das M-Wort nicht aus Ihrem Mund hören.«
»Ich glaube nicht, dass an seinem Tod was Abstruses war«, sagte ich. »Außer …«
Wieder schnitt er mir das Wort ab. »Todesursache?«, fragte er Stephanopoulos.
»Stichwunde in den Rücken, wahrscheinlich Organschäden, aber gestorben ist er am Blutverlust.«
Seawoll fragte nach der Mordwaffe. Stephanopoulos deutete auf den Beweissicherungsbeamten. Dieser hielt uns einen Klarsichtbeutel hin. Er enthielt die biskuitfarbene Tonscherbe, die ich im Tunnel gefunden hatte.
»Was zum Teufel soll denn das sein?«, fragte Seawoll.
»Ein Stück von einem Teller«, sagte Stephanopoulos und drehte den Beweisbeutel, so dass wir sahen, dass es sich in der Tat um ein dreieckiges Stück eines zerbrochenen Tellers handelte, mit Zierrand. »Sieht aus wie Steingut.«
»Und die sind sicher, dass das die
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