Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Waffe war?«, fragte Seawoll.
Sie sagte, die Pathologin sei so sicher, wie man es diesseits der Autopsie sein könne.
Ich war nicht scharf darauf, Seawoll von der kleinen Konzentration von Vestigia an der Scherbe zu erzählen, aber ich dachte mir, dass ich mir nur mehr Ärger einhandeln würde, wenn ich es sein ließ.
»Sir«, sagte ich. »Hieran ist ein bisschen … abstruser Scheiß.«
»Woher wissen Sie das?«
Ich überlegte, ob ich ihm erklären sollte, was Vestigia waren, aber Nightingale hatte mich gewarnt, dass es manchmal besser sei, ihnen eine hübsch einfache Erklärung zu geben, mit der sie etwas anfangen können. »Es hat eine Art Leuchten.«
»Ein Leuchten?«
»Ja, ein Leuchten.«
»Das nur Sie sehen können«, folgerte er. »Mit Ihren speziellen mystischen Kräften.«
Ich sah ihm in die Augen. »Ja. Mit meinen speziellen mystischen Kräften.«
»Na schön«, sagte Seawoll. »Unser Opfer wird also in einem U-Bahn-Tunnel mit einem Stück magischem Teller erstochen, schleppt sich auf der Suche nach Hilfe die Gleise entlang, klettert auf den Bahnsteig, klappt zusammen und blutet aus.«
Den genauen Todeszeitpunkt kannten wir – 1.17 Uhr morgens, weil eine Überwachungskamera alles aufgenommen hatte. Um 1.14 Uhr war verschwommen sein weißes Gesicht zu sehen, als er sich mühsam auf den Bahnsteig hievte, dann sein Torkeln, als er auf die Füße zu kommen versuchte, und dann der schreckliche letzte Zusammenbruch, das Zur-Seite-Kippen – die Kapitulation.
Sobald man den Mann bemerkt hatte, dauerte es keine drei Minuten, bis der Stationsleiter bei ihm war, aber da war, wie er sich ausdrückte, der Unbekannte schon »hinüber«. Es blieb ein Rätsel, wie er in den Tunnel hinein und sein Mörder hinausgekommen war, aber nachdem die Spurensicherer seine Geldbörse freigegeben hatten, wussten wir wenigstens, wer er war.
»Oh Scheiße«, sagte Seawoll. »Ein Ami.« Er reichte mir einen Beweisbeutel, in dem sich eine laminierte Karte befand. Ganz oben stand NEW YORK STATE, darunter DRIVER LICENSE, dann ein Name, eine Adresse und ein Geburtsdatum. Er hieß James Gallagher, kam aus einem Ort namens Albany, NY, und war dreiundzwanzig Jahre alt.
Wir hatten eine kleine Diskussion darüber, wie viel Uhr es jetzt in New York war, dann beauftragte Seawoll einen Beamten, die Polizei von Albany zu kontaktieren. Albany war die Hauptstadt des Staates New York, was ich nicht wusste, bis Stephanopoulos es mir sagte.
»Das Ausmaß Ihres Unwissens«, sagte Seawoll, »ist wahrhaft beängstigend, Peter.«
»Unser Opfer hingegen war offenbar wissensdurstig«, sagte Stephanopoulos. »Er war am St. Martin’s College eingeschrieben.«
In Gallaghers Geldbörse befand sich eine Mitgliedskarte der National Union of Students, außerdem ein paar Visitenkarten mit seinem Namen und einer Adresse, von der wir hofften, dass es sich um seine Londoner Wohnung handelte, in einer kleinen Gasse in der Nähe der Portobello Road.
»Nett, wenn sie es uns so einfach machen«, sagte Seawoll.
»Was denken Sie«, fragte Stephanopoulos, »erst die Adresse, dann Familie und Freunde?«
Bisher hatte ich größtenteils den Mund gehalten, und, ganz ehrlich, am liebsten hätte ich mich still und heimlich nach Hause verdrückt, aber es war nun mal eine Tatsache, dass James Gallagher mit einer magischen Waffe abgemurkst worden war. Na gut, mit einer magischen Tellerscherbe. »Ich würde mir gern seine Bude anschauen. Nur für den Fall, dass er ein Praktizierender war.«
»Praktizierender, hm?«, fragte Seawoll. »So nennt ihr das also?«
Ich verlegte mich wieder darauf, den Mund zu halten, und Seawoll schenkte mir einen beifälligen Blick.
»Schön«, sagte er dann. »Zuerst die Wohnung, dann nehmen Sie sich die Angehörigen und Freunde vor undschauen, ob Sie seinen gestrigen Tagesablauf rekonstruieren können. Die BTP wird Leute durch die Tunnel schicken, um sie genau zu untersuchen.«
»Transport for London wird im Dreieck springen«, sagte Stephanopoulos.
»Wenn’s ihnen Spaß macht«, brummte Seawoll.
»Wir sollten der SpuSi sagen, dass die Mordwaffe eventuell archäologisch bedeutsam ist«, bemerkte ich.
»Archäologisch?«, fragte Seawoll.
»Eventuell.«
»Ist das Ihre professionelle Meinung?«
»Ja.«
»Die man wie üblich in der Pfeife rauchen kann.«
»Wär’s Ihnen lieber, wenn ich meinen Boss rufe?«
Seawoll schürzte die Lippen, und mit Schrecken erkannte ich, dass er wirklich darüber nachdachte, Nightingale zu rufen.
Weitere Kostenlose Bücher