Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Augen sehen konnte. »Ist das wieder eine von deinen Schnapsideen?«
»Habt ihr was Spannendes von Ten-Tons Tochter erfahren?«
»Stephen ist ihr Verlobter. Zumindest wenn’s nach ihrem Vater geht. Aber ich glaube, Stephen will den Stamm verlassen.«
Ich warf einen Blick auf Stephen, der, wie ich bemerkte, keine Sonnenbrille trug – das Licht schien ihm nichts auszumachen. War er weniger empfindlich als die anderen?
Lesley erklärte, es sei ein Dreiecksverhältnis, womöglich sogar ein Rechteck, jedenfalls aber ein Skandal nach den Maßstäben des Stillen Volks, das sich hier in – wie sie es ausdrückte – Jane Austens letztem Bunker eingeigelt hatte. Elizabeth war mit Stephen verlobt, aber da er sie schmählich vernachlässigte, hatte die junge Prinzessin sich in einen schneidigen, charmanten Cousin aus dem Ausland verguckt.
»Ryan Carroll?«, fragte ich. »Sie steht ja offensichtlich auf Künstler.«
»Oh ja«, flüsterte Lesley. »Aber noch ein bisschen weiter weg als Irland. Gutaussehend, Amerikaner, so was Ähnliches wie ein Prinz und derzeit extrem tot.«
James Gallagher.
»Haben sie je – ?«
Elizabeth war viel zu kultiviert, um offen über so etwas zu sprechen, aber Lesley und Reynolds waren ziemlich sicher, dass zumindest schon herumgeknutscht worden war. Ich erinnerte mich daran, wie Zach bei Elizabeths Anblick die Augen niedergeschlagen hatte. Verschmähte Liebe, eines der Hauptfelder auf dem polizeilichen Bingozettel. Ich vergewisserte mich rasch, dass Zach nicht das Weite gesucht hatte, während wir abgelenkt waren. Aber er war noch da und schien die Augen nicht von Elizabeth wenden zu können.
»Er hatte keine Schnittwunden«, flüsterte ich. Aber vielleicht war seine Wundheilung ja ungewöhnlich schnell.
»Sobald die DNA-Ergebnisse da sind, wissen wir’s«, flüsterte Lesley. »Wenn er’s war, wird Reynolds so was von selbstzufrieden sein.«
Wir schielten zu Reynolds, ob sie nicht etwa lauschte, aber sie starrte Stephen an – sie schien richtiggehend fasziniert. Ich betrachtete den Topf, den er bearbeitete. Dieser strahlte jetzt ein sanftes Leuchten aus, das einem vage vertraut vorkam, wenn man zum Beispiel ich oder Lesley war.
»Okay«, sagte Lesley mit normaler Sprechstimme. »Das erklärt einiges.«
Und mit einem Mal poppte vor meinem inneren Auge eine in jeder Hinsicht komplette Bingokarte auf.
»Ihr müsst sofort zu Nightingale zurück«, flüsterte ich ihr zu. »Zach könnt ihr bei mir lassen.«
»Das ist eine deiner Schnapsideen.«
Ich versicherte ihr, sie müsse sich keine Sorgen machen, und alles werde sich noch rechtzeitig zum Weihnachtsessen klären.
»Ich gebe dir sechzig Minuten.« Ihr Atem kitzelte mich am Ohr. »Dann komme ich mit der SAS.«
»Ich bin in einer halben Stunde draußen«, wisperte ich zurück.
Ich schaffte es in weniger als zwanzig Minuten – ich bin halt gut.
Erster
Weihnachtsfeiertag
26
Sloane Square
Er war ein Verdächtiger der besten Sorte, einer von denen, die denken, sie seien schon davongekommen. Dadurch sind sie nicht nur leichter zu finden, sie bekommen auch diesen unvergleichlichen Gesichtsausdruck, wenn sie die Tür aufmachen und dich draußen stehen sehen. Er war bei einem Freund in Willesden, und wie das Schicksal es wollte, öffnete er die Tür persönlich.
»Ryan Carroll«, sagte ich. »Sie sind verhaftet, wegen Mordes an James Gallagher.«
Sein Blick zuckte von mir zu Stephanopoulos und von dort aus über meine Schulter zu Reynolds, die wir als neutrale Beobachterin mitgenommen hatten, und zu Kittredge, der mitgekommen war, um ein Auge auf Reynolds zu haben. Einen winzigen Moment lang sah ich ihm an, dass er erwog zu fliehen, aber dann wurde ihm die völlige Sinnlosigkeit eines solchen Versuchs klar, und seine Schultern sanken nach vorn. Das war doch mal ein Weihnachtsgeschenk.
Ich sagte die Belehrung zu Ende auf und führte ihn zu einem der wartenden Autos. Auf Handschellen verzichteten wir, was Agent Reynolds überraschte. Kittredge erklärte ihr, dass es zu den Grundsätzen der Metropolitan Police gehörte, Handschellen zu vermeiden, wenn es nichtabsolut notwendig war, den Festgenommenen körperlich einzuschränken – was den Vorteil hatte, dass dieser nicht in Gefahr geriet, sich die Gelenke wundzuscheuern, die Hände abzuschnüren oder über seine eigenen Füße zu fallen und mit dem Gesicht auf dem Bürgersteig zu landen. Es lag ganz gewiss nicht daran, dass ich etwa vergessen hätte, Handschellen mitzunehmen.
Wir
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