Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
brauchen, um Sie zu verknacken. Aber wir wüssten gern, warum. Also geben wir Ihnen die Gelegenheit, es sich vom Herzen zu reden und unsere Neugier zu befriedigen.«
»Sie wollen es doch geheim halten, oder? Ich nehme nicht an, dass für mich etwas dabei herausspränge?«
»Keine Chance.« Das hatte Seawoll klargemacht.
»Und wenn ich damit drohe, es zu meiner Verteidigung zu verwenden?«, fragte er. »Es in der Verhandlung der Öffentlichkeit preiszugeben. Versuchen Sie es dann mal geheim zu halten.«
»Sie können es ja probieren, wenn Sie wollen. Kleine grüne Männchen in der Kanalisation, die Schweine halten und töpfern? Ich tippe darauf, dass Sie dann mit einer Thorazine-Infusion in Broadmoor landen.«
»Thorazine?«, sagte Carroll. »In welchem Jahrhundert leben Sie denn? Heute hat man Clorozil und Serdolect.« Er seufzte. »Natürlich haben Sie alles schon genau geplant, man nickt sich zu, ein paar Hebel werden in Bewegung gesetzt, und es ist, als habe die Story nie existiert.«
Ich versuchte mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Wir hätten versuchen können, es geheim zu halten, aber mit geheimen Verschwörungen ist es generell so, dass sie nie sehr lange geheim bleiben. In einer Hinsicht hatte Tyburn recht – ich glaubte nicht, dass sich der Status quo noch lange würde aufrechterhalten lassen.
»Was hat Sie ursprünglich dort runtergeführt?«
»Zu den Wisperern, meinen Sie? Ach, die Familientradition.Wir sind eine anständige, gutbürgerliche katholische Familie – Juristen, Ärzte –, aber das Andenken an meinen Ur-Ur-Urgroßvater Matthew Carroll, den Burschen vom Land, haben wir immer in Ehren gehalten.«
Der wie Eugene Beale und die Gebrüder Gallagher nach England gegangen war und Arbeit beim Kanal-, Tunnel- und Eisenbahnbau gefunden hatte.
»Also hatte ich schon in der Kindheit Geschichten vom wispernden Volk gehört. Nicht dass ich daran glaubte.«
»Sind Sie deshalb nach London gekommen?«
Ryan lehnte sich zurück und lachte auf eine Art, die mich an Ten-Tons erinnerte. »Nein, tut mir leid. Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber es ist nicht jedermanns sehnlichster Wunsch, nach London zu ziehen. Ich hatte in Dublin ein sehr befriedigendes Leben.«
»Und doch sind Sie gekommen.«
»Das war der Ritt auf dem keltischen Tiger, verstehen Sie? So viele Jahre waren wir nur ein erbärmlicher Witz von einem Land gewesen, und auf einmal waren wir wer, Dublin wurde ein richtiger Anziehungspunkt. Plötzlich gab es Cafés und Galerien und mehr als eine Sorte Pub. Und es zogen tatsächlich Leute freiwillig nach Irland.«
Ryan sah mich an, und vielleicht entdeckte er in meiner Miene einen gewissen Mangel an Anteilnahme, denn er beugte sich vor und sagte: »Mit dem internationalen Kunstmarkt ist es so, dass das Wörtchen ›Markt‹ darin von zwei Sorten von Leuten diktiert wird: den Superreichen und denen, die ihnen in den Arsch kriechen.« Er machte eine unfeine Geste, und ich musste lachen.
»Aber die ›Kunst‹ darin wird von Leuten wie meiner Wenigkeit gemacht – den eigentlichen Künstlern. Und uns gehtes darum – « Er stockte, machte eine unbestimmte Handbewegung und gab auf. »Darum, das nicht Ausdrückbare auszudrücken. Wissen Sie, es hat überhaupt keinen Sinn, zu fragen, was ein Kunstwerk bedeuten soll. Wenn wir es mit Worten sagen könnten, glauben Sie, wir würden uns dann all die Mühe machen, zum Beispiel eine Kuh in zwei Hälften zu schneiden oder einen Hai einzulegen? Glauben Sie, eine Kuh zu halbieren macht irgendwem Spaß? Und dass dann ständig dämliche Leute auf dich zukommen und sagen: Oh, sehr interessant, aber ist das denn Kunst? Ja, es ist Kunst, verdammt noch mal. Denken Sie vielleicht, ich will das verdammte Viech essen?«
Er nahm einen Schluck Tee und machte ein finsteres Gesicht. »Mein Gott, hätte ich bloß um einen Wodka gebeten. Könnte ich eventuell einen Wodka haben?«
Ich schüttelte den Kopf. »Haben Sie schon mal eine Kuh halbiert?«
»Nur auf dem Teller«, sagte Ryan. »Ich habe kein Problem damit, mir die Hände schmutzig zu machen, aber bei toten Tieren und Exkrementen ziehe ich die Grenze. Die Hände sind mir wichtig. Man muss das Medium spüren, mit dem man arbeitet. Hatten Sie in der Schule Kunstunterricht?«
»Theater.«
»Aber Sie haben doch sicher mit Knete gespielt, oder?«
»Ja, als Kind.«
»Erinnern Sie sich noch, wie es sich anfühlt, wenn man sie zwischen den Fingern hindurchquetscht?« Aber er wartete meine Antwort
Weitere Kostenlose Bücher