Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
wenigstens meine Tutoren in der Schulzeit.« Er seufzte. »Wie war es doch schön, als wir alle noch wussten, was wir taten und warum.«
»Vor Zach bin ich in Fleet hineingerannt«, sagte ich. »Und vor Fleet hab ich eine Chinesin getroffen, von der ich ziemlich sicher bin, dass sie eine Praktizierende ist.«
»Hat sie sich Ihnen vorgestellt?«
Ich erzählte ihm alles über die mysteriöse Madame Teng, ging aber stillschweigend darüber hinweg, dass ich im Grunde von Fleet und ihrem Hunde-Anführer gerettet worden war.
»Guter Gott, Peter«, sagte Nightingale. »Da verlässt man einmal für fünf Minuten die Stadt …«
»Haben Sie eine Ahnung, wer sie war?«
»Eine daoistische Zauberin, würde ich sagen.«
»Ist das gut oder schlecht?«
»Die Chinesen haben ganz eigene Traditionen, auch in der Zauberei. Soweit ich weiß, basiert daoistische Magie auf dem Niederschreiben von Schriftzeichen in ähnlicher Weise wie die unsere auf laut ausgesprochenen Formae . Mehr haben wir, glaube ich, nie darüber herausbekommen. Es gab nur begrenzten Kontakt – wir wollten ihnen unsere Geheimnisse nicht verraten und, wen wundert es, sie uns nicht die ihren.«
Er betrachtete stirnrunzelnd das Regal und vertauschte zwei der Bände.
»Haben sie eine Basis in Chinatown?«, fragte ich.
»Mit Chinatown haben wir eine Abmachung. Sie machen nicht die Pferde scheu, und wir marschieren nichthinein und stellen Fragen. Die meisten Praktizierenden in Festlandchina hat Mao in den fünfziger Jahren umbringen lassen, und der Rest ist in der Kulturrevolution umgekommen.«
»Sie ist aus Taiwan«, sagte ich.
»Das kommt mir plausibel vor«, sagte er. »Ich werde mich darum kümmern.«
Um ihn so richtig glücklich zu machen, beschrieb ich ihm noch Ryan Carrolls möglicherweise magische Skulptur.
»Und ich hatte gehofft, dass wir den Fall der Mordkommission überlassen und uns stattdessen mit den Little Crocodiles befassen könnten«, sagte er.
»In Henley was Besonderes gefunden?«, fragte ich.
»Außer dem Schnee? Ein recht nettes Ehepaar, das in einem umgebauten Stall lebt. Sie waren sehr stolz darauf und haben mich im ganzen Haus herumgeführt.«
»Einen Tick zu hilfsbereit?«
»Ich habe mich nicht auf ihr Wort verlassen. Ich habe meine alte Sturmhaube übergezogen und mich bei Dunkelheit nochmals auf dem Gelände umgesehen.« Gefunden hatte er nichts, aber das Herumschleichen im Schnee hatte ihn an eine Operation in Tibet 1938 erinnert. »Da haben wir deutsche Archäologen gejagt. Ein völliger Reinfall, das Ganze, für sie wie für uns.«
Lesley steckte den Kopf durch die Tür, sah uns und kam herein. »Habt ihr gesehen, wie viel der Typ verdrücken kann?«
»Er ist ein Halbling«, sagte ich. Woraufhin mir beide bloß einen verständnislosen Blick zuwarfen.
Wir verteilten die heutigen Aufgaben. Nightingale würdeLesleys morgendliche Übungen beaufsichtigen, und ich würde meinen Papierkram an die Mordkommission schicken und einen Blick auf die Fallentwicklung in HOLMES werfen, ob etwas Relevantes (sprich: Ungewöhnliches, Wirres oder Unheimliches) aufgetaucht war. Wir hofften, dass Zach den Wandermarkt gefunden hatte, bis wir fertig waren, dann würden Lesley und ich ihn überprüfen.
»Ich werde einen Besuch im Barbican machen und Mr. Woodville-Gentle noch einmal befragen«, sagte Nightingale. »Vielleicht verleitet ihn meine Anwesenheit dazu, sich zu verraten.«
»Vorausgesetzt, er hat etwas zu verraten«, sagte ich.
»Oh, das hat er«, sagte Lesley. »Darauf wette ich.«
Es hatte nicht wieder geschneit. Die Sonne war zwar nicht zu sehen, aber die Wolkendecke war dünner geworden, und die Wärme hatte die Schneewehen im Hof verharschen lassen. Meine Hand drohte aber immer noch an dem eisernen Treppengeländer festzufrieren. In der Remise roch es nach Öl und feuchtem Papier, doch dank des Ofens war die Temperatur nicht so weit gesunken, dass die Elektronik Schaden genommen hätte. Die Couch war geradegerückt und der Abfalleimer geleert worden – das sprunghaft angestiegene Ordnungsniveau war immer ein deutliches Indiz dafür, dass Nightingale hier Rugby geschaut hatte. Ich setzte Teewasser auf, fuhr meinen eigenen sowie den gebrauchten Dell-Laptop hoch, den ich als HOLMES-Terminal benutze, und ging an die Arbeit.
Wie in jedem anderen Job fängt man auch bei der Polizei den Arbeitstag damit an, dass man seine E-Mails abruft. Zuerst kam die Spam-Beseitigung, dann ein paar lustige Katzenfilmchen,dann einige
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