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Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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tastete meine Taschen ab – nur um sicherzugehen.
    Dann ging ich Lesley Bescheid sagen, dass es losgehen konnte.

11
Brixton
    Die Reaktion der Medien auf extremes Wetter ist so ritualisiert und vorhersagbar wie die Stadien der Trauerbewältigung. Zuerst kommt die Verleugnung: »So viel Schnee – das gibt’s doch gar nicht!«, dann die Wut: »Warum können wir nicht mit dem Auto fahren? Warum fallen die Züge auch aus?« Dann die Schuldzuweisungen: »Warum wurde nicht gestreut? Wo sind die Schneepflüge? Und warum kommen die Kanadier mit so was problemlos klar und wir nicht?« Dieses letzte Stadium ist das längste und wird schließlich zu einem düster grummelnden Hintergrundgejammer, gelegentlich aufgelockert durch Schlagzeilen in der Daily Mail wie »Asylanten kochen geklaute Schneeschaufeln«, das so lange anhält, bis das Wetter sich bessert. Aber wenigstens blieben uns einige ermüdende Wiederholungen erspart, dank der Tatsache, dass man als Ursprung der E.-coli-Seuche schließlich einen Stand auf dem Walthamstow Market identifizierte.
    Die leicht gestiegenen Temperaturen hatten die Hauptstraßen in Flüsse aus braunem Matsch verwandelt. So langsam kam ich dahinter, wie das mit dem Fahren bei winterlichen Verhältnissen funktionierte: Hauptsächlich ging es darum, nicht zu schnell zu werden und so viel Abstandwie möglich zum durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer zu halten. Auf den Straßen war so wenig los, dass man sich auf die Vauxhall Bridge wagen konnte, aber danach fuhr ich sicherheitshalber über The Oval und die Brixton Road weiter. Kurz vor dem eigentlichen Brixton bogen wir auf die Villa Road ab, die den Max Roach Park nach Norden hin begrenzt. Der Schnee im Park war noch fast weiß und mit halbgeschmolzenen Resten von Schneemännern übersät. Lesley zeigte auf ein viktorianisches Reihenhaus etwa hundert Meter weiter. »Das ist es.«
    Es war spätviktorianisch mit Tiefparterre, rechteckigen Erkerfenstern und einer schmalen kleinen Eingangstür und hatte einst der neuen aufstrebenden Mittelschicht die Illusion großartigen städtischen Wohnens vermitteln sollen. Den Leuten, die eine Generation später in die Vorstädte auswandern sollten.
    Auf ein von der Feuchtigkeit gewelltes Stück Pappe war ein Pfeil aufgemalt. Er zeigte die eisernen Stufen zum Eingang des Tiefparterre hinunter, dem früheren Lieferanteneingang. Die Vorhänge der Erkerfenster waren vorgezogen, und als wir kurz lauschend stehenblieben, vernahmen wir keine Geräusche aus dem Haus.
    Ich klingelte.
    Nach etwa einer Minute, die wir in etwas Abstand zum Haus verbrachten, um nicht das vom Dach tropfende Tauwasser auf den Kopf zu kriegen, öffnete sich die Tür. Ein weißes Mädchen in weiten Hosen mit Hosenträgern und rosa Lippenstift schaute heraus.
    »Was wollen Sie?«
    »Wir sollen den Rasen mähen«, informierte ich sie.
    »Okay. Keine Motorradhelme, Schwerter, Speere, Illusionszauberund – « sie zeigte auf Lesley –, »keine Masken. Sorry.«
    Ich sah Lesley an. »Willst du im Auto warten?«
    Sie schüttelte den Kopf und nahm die Maske ab.
    »Ich wette, Sie sind froh, die mal los zu sein«, kommentierte das Mädchen und führte uns in die Wohnung.
    Es war eine typische schmuddelige Kellerwohnung. Trotz der modernen Küche und der Einrichtung der Marke Habitat wirkte sie durch die niedrige Decke und die schlechte Beleuchtung eng und schäbig. Im Vorbeigehen sah ich, dass alle Möbel im Wohnzimmer an die Rückwand geräumt worden waren. Aus allen Zimmern schlängelten sich Baustellen-Stromkabel durch den Flur, mit Hilfe von Klebeband und Sicherheitsschwellen aus Plastik ordentlich gebündelt.
    Je näher wir der Hintertür kamen, desto wärmer wurde es – als das Mädchen uns die Hand hinhielt, um uns die Mäntel abzunehmen, hatten wir sie schon halb ausgezogen. Sie brachte sie ins hintere Schlafzimmer, das mit mobilen Kleiderständern vollgestellt war. Wir bekamen sogar eine Abreißnummer.
    »Durch die Küche geht’s raus«, sagte sie.
    Wir traten durch die Hintertür hinaus und fanden uns erstaunlicherweise in einem frischen Herbstnachmittag wieder. Der Garten war bis zur Höhe des Dachgiebels komplett mit einem Gerüst ausgefüllt. Einen halben Meter über dem Rasen schwebte ein Bretterboden, von dem aus Leitern zu Galerien hinaufführten, die aus weiteren Gerüstböden bestanden. Die Konstruktion war komplett mit weißer Plastikfolie umspannt und schloss einen ganzen Baum mit ein. Von oben flutete goldenes Sonnenlicht herab

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