Ein zahnharter Auftrag
Sie kannte sich aus. Aber von der Infludenta hatte sie noch nie gehört.
»Ihr wisst nicht, was Infludenta ist?« Vlad Tepes warf entsetzt den Kopf zurück. Die Locken wackelten.
»Die Infludenta«, sagte Mihai Tepes, »ist die fürchterlichste, grausamste, ekligste Krankheit, die einen Vampir befallen kann. Sie ist eine heimtückische Krankheit, denn zunächst fühlt man sich nach der Infektion großartig. Man könnte eine ganze Wildschweinhorde blutleer saugen.«
Helene und Ludo rissen die Augen auf.
Daka fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Doch dann nimmt die Krankheit schlagartig ihren unausweichlichen, bösartigen Verlauf. Bevor man es spürt, riecht man es. Es stinkt. Bestialisch. Wie Käse, der drei Monate in der Sonne gelegen hat.« Herr Tepes verzog das Gesicht.
»Was stinkt?«, wollte Daka wissen.
»Die Eckzähne stinken. Etwa einen Tag nach der Infektion beginnen sie zu schimmeln und zu schrumpfen. Dann geht alles ganz schnell. Man kann förmlich dabei zusehen. Onu, zoi, trosch – sind die Zähne weg.«
»Und dann können die Vampire nichts mehr essen«, schlussfolgerte Silvania.
Mihai Tepes nickte. »Das ist das Ende. Wie soll ein Vampir ohne Eckzähne überleben?«
»Was ist mit Zahnersatz?«, fragte Helene.
Mihai und Vlad Tepes verzogen das Gesicht.
»Hast du schon mal versucht, mit falschen Zähnen eine Biberratte zu reißen?«, fragte Mihai Tepes.
»Äh ... nein«, antwortete Helene.
»Na, siehst du. Das geht nämlich genauso wenig, wie mit zwei Rädern Dreirad fahren.«
Helene runzelte die Stirn.
»Die Vampire verhungern also?«, fragte Daka.
Herr Tepes nickte. »Bei ihrem letzten Ausbruch im Jahr 1423 hat die Infludenta Tausende von Vampiren dahingerafft.«
»Und jetzt wütet sie wieder«, meldete sich Vlad Tepes zurück zu Wort. »In Bistrien sind schon ein Dutzend Vampire infiziert. Wenn wir nicht handeln, wird die Krankheit die ganze Stadt auslöschen. Was sage ich – ganz Transsilvanien!«
»Vielleicht sogar alle Vampire auf der ganzen Welt.« Tante Karpa schnäuzte sich. Dann entwich ihr ein kleiner Rülpser. Sie legte sittlich die Hand vor den Mund.
»Gibt es kein Gegenmittel?«, fragte Silvania.
Vlad Tepes sah sie einen Moment schweigend an. Er hatte einen seltsamen Ausdruck in den Augen. »Doch, das gibt es«, antwortete er schließlich. »Deswegen sind wir hier.«
»Hier? Das Gegenmittel ist hier bei uns?« Daka drehte den Kopf nach links und rechts. Sie sah unter den Tisch und an die Decke.
»Ultimo Gumox! Bei euch doch nicht!«, rief Woiwo. Er schnitt Daka eine Grimasse.
Daka rümpfte die Nase.
»Nachdem die Infludenta in Bistrien ausgebrochen war«, fuhr Vlad Tepes fort, »wurde sofort der Stadtrat einberufen – in den ich übrigens zum fünften Mal als Kandidat des Blutigen Einheitsflügels gewählt wurde.« Vlad Tepes strich sich über den Lockenkopf. »Wir beschlossen, dass umgehend, radikal und rückhaltslos gehandelt werden muss. Wir berieten uns einen Tag und eine Nacht mit Infludenta-Experten. Dann stand unser Beschluss fest: Jemand von uns muss nach Deutschland fliegen. Rapedadi. Da ich Blutsverwandtschaft in Deutschland habe, habe ich mich freiwillig gemeldet.«
Vlad nickte seinem Bruder zu. Der nickte zurück.
»Na ja, und ich dachte, es wäre vielleicht nett, wenn sich Karpa und Elvira mal wieder sehen. Und natürlich die Kinder.« Vlad Tepes lächelte kurz.
Daka und Silvania starrten Woiwo an.
Er streckte ihnen die Zunge raus.
»Außerdem können wir uns hier nicht mit Infludenta anstecken«, warf Tante Karpa ein.
»Ganz genau«, sagte ihr Mann.
»Das Gegenmittel gibt es also in Deutschland?«, fragte Elvira Tepes.
Vlad Tepes holte tief Luft. »Das einzige Gegenmittel gibt es in der Tat nur in Deutschland.« Er ließ seinen Blick schweigend über die Zuhörer gleiten. Dann sprach er langsam und leise weiter: »Es ist eine äußerst seltene Pflanze. Und eine äußerst gefährliche. Sie heißt Germania Dracona und wächst auf dem Grab des mächtigen Vampirjägers Osmund Mortus. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof des Grauens im Niemandsland an der deutschen Grenze zu Polen und Tschechien.«
»Germania Dracona?«, wiederholte Silvania.
»Friedhof des Grauens?« Helenes Augen schimmerten.
»Osmund Mortus?« Ludo runzelte die Stirn.
Onkel Vlad hob die Hand. Er war noch nicht fertig. »Man muss die Pflanze genau zwischen 2:59 Uhr und 3:00 Uhr morgens herausziehen. Keine Sekunde früher, keine Sekunde später. Sonst weckt man den
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