Ein Zirkus für die Sterne
Kuhstall laufen, melken und die Futterverteilung überwachen, die einzelnen Tagesverrichtungen der Farm vorprogrammieren und dann zurück ins Haus zu Tante Divas Version eines gesunden Frühstücks. Hatte sie dann endlich die letzte in Sojasirup getauchte Sojaschnitte heruntergewürgt, tauchte auch schon Ennivaat, die Sonne des Planeten Doldra, am Horizont auf.
Onkel Chaine mit schütterem, ergrauendem Bart, hinter dem sich sein vom Alkohol gerötetes Gesicht verbarg, hätte daraufhin seinen Auftritt, und mit der Alltagsarbeit ginge es jetzt ernstlich los. Repariere den Schuppen, verteile das Futter für die Herde, vergiß nicht, die Rohre der Milchmaschine zu umwickeln, damit die entrahmte Milch nicht gefriert, hol Holz fürs Haus, geh und schaufle den alten Komposthaufen weg, wir wollen in diesem Jahr eine andere Formel ausprobieren – und so weiter und so weiter.
Tyli kuschelte sich in die Decke und verwünschte, was sie aufgeweckt hatte. Sie versuchte, die Gedanken zu vertreiben, und betete, daß der Schlaf sie in ihre Träume zurückversetzen möge. Ein Klappern vor dem Fenster beendete diese Hoffnung. Sie warf die Decke zurück, setzte sich auf und sah zum Fenster hinaus auf Emile Schönes Sommersprossengesicht, umrahmt von einer Kapuze und einem Schal. Tyli stieß das Fenster auf und wappnete sich gegen den eiskalten Luftzug. »Was fällt dir ein, Em? Ich muß doch erst in einer Stunde aufstehen!«
Emile grinste und enthüllte dabei die Lücken, die seine Vorderzähne in Erwartung des zweiten Satzes gelassen hatten. »Der Zirkus, Tyli. Der Zirkus ist da!«
»Na und?« Tyli zog eine Grimasse vor ihrem Freund und zuckte mit den Schultern. Die Nachtruhe war dahin. »Und wo ist er?«
Emile drehte sich um und zeigte in die entgegengesetzte Richtung. Tyli renkte sich den Hals aus, um dort etwas zu entdecken, wohin der unbehandschuhte Finger ihres Freundes deutete. In der Ferne, jenseits des Grenzzauns von Onkel Chaines Besitz, scharf sich abhebend vor dem stumpfen Orange des Morgenhimmels, waren die Wagen. Kutscher mit vor Kälte hochgeschlagenen Kragen zogen die Schultern ein gegen die Nacht. Die schweren Kaltblüter, die die Wagen zogen, sandten Dampfwolken empor, während ihre großen Hufe auf dem gefrorenen Boden klapperten. Die Schrift auf den Wagen war noch nicht zu erkennen, doch jeder unter zwanzig auf Doldra wußte, was da stand: O’Hara ’s Greater Shows – The Great One.
»Los, Tyli, sie werden bald weg sein.«
Tyli zog sich vom Fenster zurück und suchte in der Dunkelheit nach ihren Kleidungsstücken. Sie zog sich an. Sie fuhr in ihr gefüttertes Hemd, steckte die Füße in die Stiefel und schloß den Reißverschluß. Sie stopfte das Hemd fest und langte hinter die Tür, wo ihr Parka hing. Wenn die Sonne erst über dem Horizont stand, war es zu warm für den Mantel, doch bis dahin war er nötig. Sie versiegelte den Parka, stellte sich auf das Bett und öffnete weit das Fenster. Die Hände auf das Sims gestützt, schwang sie sich darüber hinweg und kam auf dem gefrorenen Boden zum Stehen. Sie griff nach oben und zog das Fenster zu. »Laß uns gehen.«
Die beiden rannten an den Zaun und blieben dort stehen, um die Wagen zu betrachten. Aus der Nähe konnte man die Aufschriften lesen und auch die Bilder von Tigern, Löwen, Clowns, Fliegenden Menschen, Fahnen, Elefanten, Schlangen, Pferden und Reitern sehen. Unter den Bildern drehten sich die bunten Räder, und ihre stählernen Kanten knirschten über den Kies.
»Ach, Tyli, sind sie nicht wunderbar?«
Einer der Wagen fuhr neben den beiden auf, der Kutscher sah auf sie hinab und nickte. »Ihr Jungs wollt wohl auch die Show sehen? Wir werden noch vor Mittag auf unserem Platz in Kupferstadt sein.«
Emile
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