Eindeutig Liebe - Roman
sie miteinander Verstecken. Ich wettete, dass er dort war. Meine Turnschuhe sanken in das federnde Gras, und ich verfluchte mich im Stillen dafür, dass ich heute keine Sandalen trug. In der Sonne wurde es richtig heiß.
Nachdem ich ein paarmal einen Bogen um kichernde Kinder und Pärchen, die zwischen den Gänseblümchen knutschten, gemacht hatte, kam der Baum in Sicht. Doch es war niemand da.
Enttäuschung machte sich in mir breit. Ich hatte mich darauf gefreut, Pete zu sehen. Unsere Treffen waren zu einem sehr wichtigen Teil meines Lebens geworden. Obwohl Pete nicht da war, ging ich zu dem Baum und setzte mich ein paar Minuten auf den Stamm; zum einen, um wieder zu Atem zu kommen, und zum anderen, um zu überlegen, ob ich noch länger nach ihm suchen sollte oder nicht. Vielleicht wollte er heute einfach mal seine Ruhe haben.
Schließlich erhob ich mich und machte mich auf den kurzen Weg zurück zum Büro. Doch als ich schon fast auf der Straße war, fiel mir etwas ins Auge: eine Männergestalt, die unter einem Baum stand und durch die Äste hindurch den klaren blauen Himmel betrachtete.
Normalerweise hätte mich das nicht weiter interessiert, doch der Mann schwankte, und seine Körpersprache hatte etwas Exzentrisches. Dazu kamen die Proportionen des Mannes – ich hätte ihn überall wiedererkannt. Das musste Pete sein.
Ich hielt eine Hand über meine Augen, um sie vor dem Sonnenlicht abzuschirmen; es war schwierig, jemanden sicher zu erkennen, wenn man so stark blinzeln musste. Er schwankte hin und her, die Arme schlenkerten an seinen Seiten herunter. Nein, vielleicht war er es doch nicht … Ich wollte schon weiter in Richtung Straße gehen, doch etwas ließ mich innehalten. Der Mann wandte sich mir zu und sah mich an, riss dann aber rasch den Kopf herum und marschierte mit großen Schritten in die andere Richtung davon. Es war ganz eindeutig Pete.
Ich rannte ihm hinterher. Im Gehen drehte er immer wieder den Kopf nach hinten, aber er sah mich nicht an. Es war, als versuchte er, damit davonzukommen, dass er mich nicht beachtete.
»Pete!«, rief ich, doch er eilte weiter. Das war so merkwürdig! Es sah ihm überhaupt nicht ähnlich. »Pete!«, rief ich wieder, diesmal noch lauter. Die Menschen drehten sich nach mir um, als ich in seine Richtung rannte, aber das war mir egal.
Schließlich blieb er stehen, doch er wandte mir weiter den Rücken zu. Ich holte ihn ein und hielt ihn an der Schulter fest. »Pete! Was ist denn los? Warum rennst du vor mir weg?«, rief ich und versuchte dabei, so zu klingen, als wäre ich leicht amüsiert und nicht ein wenig irritiert. Dabei war Letzteres definitiv der Fall.
Er ließ beschämt den Kopf hängen, als wäre er beim Ladendiebstahl erwischt worden.
»Dreh dich doch um, Pete. Was ist denn los?«, bat ich. Ich wurde allmählich nervös.
Plötzlich stach mir Bierdunst in die Nase. Er kam von Pete. Deshalb schwankte er so!
Er hob den Kopf und fuhr herum. Er sah tief beschämt aus. Seine Augen hatten diesen verwässerten Blick, den Menschen bekommen, wenn sie getrunken haben – viel getrunken haben. Den Mund hielt er fest geschlossen. Mit einem Mal pochte mein Herz wild. Er wirkte so fremd. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich sogar ein wenig Angst vor ihm. Er benahm sich, als wären wir uns nie begegnet.
»Hör zu, Sienna, ich … ich muss weg«, lallte er. Als er einen Schritt nach vorn machen wollte, stolperte er heftig. Es verschlug mir den Atem, als ich sah, dass ihm mehrere Zähne im Unterkiefer fehlten. Das war ein großer Schock für mich. Es ist ein Albtraum, wenn jemand, der einem am Herzen liegt, verletzt wurde und man überhaupt nicht weiß, was los ist. Was zum Teufel war Pete zugestoßen?
Ich blieb stehen und sah zu, wie er davonschwankte. Doch dann blieb er mit einem Schuh in einem Kaninchenloch hängen und wäre fast gestürzt. Ich konnte ihn nicht sich selbst überlassen. Ihm musste etwas wirklich Schlimmes zugestoßen sein.
»Pete, komm schon! Setz dich doch mal hin und sprich kurz mit mir!«, bat ich, holte ihn wieder ein und zog an seinem Arm, bis er schließlich neben mir auf dem saftigen grünen Gras landete.
Vor allem zwei Dinge musste ich ansprechen. Zum einen, dass er besoffen war. Um nicht zu sagen sternhagelvoll. Und zum anderen war da die Geschichte mit den Zähnen – den Zähnen, die fehlten. Zähne, die vorhanden und in Ordnung gewesen waren, als wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten. Ich hätte wütend auf ihn sein können,
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