Eindeutig Liebe - Roman
darüber nach, was noch alles vor mir lag, überlegte, ob ich eines Tages vielleicht doch noch den einen kennenlernen und schöne, glückliche Kinder haben würde. Bis dahin war es natürlich noch ein sehr weiter Weg, aber mit einem Mal wirkte alles so vielversprechend.
Ich schnappte mir meinen Morgenkaffee und eine Gratiszeitung, dann stieg ich in den Zug. Er war voll, und die Menschen quetschten sich in jede Ecke, gefaltete Zeitungen unter dem Arm, ihre Kaffeebecher balancierten sie gefährlich auf Lehnen und Sitzen. Als der Zug abfuhr, wehte ein sanfter Wind durch ein offenes Fenster unweit von meinem Gesicht in den schwitzigen Waggon. Der Wind fuhr mir leicht durch den Pony und bewirkte, dass mein Haar hoch- und runterflatterte, als zerrte jemand mit einer Schnur daran. In diesem morgendlichen Gedränge war das eine echte Wohltat.
Ich atmete ein paarmal tief durch und sah mich um. Heute war einer dieser Tage, an denen ich mich nicht hinter einem Buch oder einer Zeitung vergrub, sondern London in mich aufnahm und darüber staunte, wie unglaublich es war. Ich setzte mich aufrecht hin und saugte die irrsinnige Energie der Stadt in mich auf. Die unterschiedlichen Gesichter, die Kuriositäten, die man auf der Straße beobachtete, die Geräusche und die Gerüche.
Und dann kam die Erinnerung zurück. Es kam mir vor, als passiere das alles noch einmal, fast wie ein Flashback. Ich erinnerte mich daran, wie ich vor fünf Jahren über den Rand der Zeitung geguckt und dabei den tollsten Mann entdeckt hatte, den ich je gesehen habe – in einem knallgrünen T-Shirt. Wir hatten einander über die Zeitungen hinweg angesehen, und obwohl ich mir dessen damals noch nicht bewusst war, hatte in diesem Moment etwas wirklich Bemerkenswertes begonnen. Eine Liebesgeschichte. Aber keine, wie man sie sich so vorstellt.
In den meisten Liebesgeschichten mögen sich der Junge und das Mädchen gleichermaßen und schaffen es irgendwann, über ihre Angst oder Schüchternheit hinwegzukommen und eine Beziehung aufzubauen. Doch in dieser Liebesgeschichte liebe ich, Sienna Walker, seit fünf Jahren Nick Redland. Und was habe ich davon? Liebe, ja, aber nur von der Sorte, wie man sie von Freunden bekommt, und das ist eine andere Art von Liebe, die allerdings fast mehr wert ist als die Liebe zwischen Liebenden, denn Freunde haben keinen Sex, von dem sie irgendwann genug bekommen, sodass sie einander meiden, als hätte der jeweils andere die Pest.
Ich konnte ihn mir bildlich vorstellen, ihn und sein wunderbares Lächeln, das eine Reihe von geraden, weißen Zähnen offenbarte und mich dazu brachte, immer weiter hinzusehen und es nicht aus den Augen zu lassen. Ich hatte die ganze Zeit nicht aufgehört hinzusehen … Mir fiel auf, dass ich ein idiotisches Gesicht machte, während ich eine ältere Dame anstarrte, die mir gegenübersaß und Nick in keiner Weise ähnlich sah. Sie rutschte unangenehm berührt hin und her. Mein Kaffee wurde kalt. Ich beruhigte mich und trank einen Schluck.
Während der Zug über die Schienen ratterte, fragte ich mich, wie es Nick wohl ging. In letzter Zeit hatten wir uns nicht mehr oft gesehen. Er war distanziert, seit Chloe ihn verlassen hatte, und mir war es fast ein wenig merkwürdig vorgekommen, als er sich gestern an mich herangeschlichen und mich »Superstar« genannt hatte, bevor er wieder in sein Büro ging, aus dem er dann nicht mal zur üblichen Zeit wieder herauskam. Superstar? Vielleicht hatte er wieder eine seiner Krisen, weil er von Chloe sitzen gelassen worden ist. Wahrscheinlich hatte er schweigend in seinem Büro gesessen, den Kopf im Schoß. Ich hatte es jedenfalls für das Beste gehalten, ihn nicht zu stören. Chloe musste verrückt sein, ihn zu verlassen. Wieso sollte man Nick verlassen? Wieso bloß?
Noch einmal durchlebte ich, wie ich ihn aus dem Blick verloren und geglaubt hatte, ich würde ihn nie mehr wiedersehen. Wie ich meinen Teebecher in die Mülltonne geworfen und auf dem Weg zum Büro sein Gesicht schon fast wieder vergessen hatte. Doch eigenartigerweise war es ausgerechnet dieses Gesicht gewesen, das mich angestrahlt hatte, als die Aufzugtüren sich öffneten, und … Ach, komm schon, Sienna. Denk zur Abwechslung mal an etwas anderes, schalt ich mich wie so oft. Doch irgendwie schien es nie zu wirken.
Als ich im Büro ankam, schien Nick in einer seltsamen Stimmung zu sein, doch statt wie gestern niedergeschlagen zu wirken, hüpfte er durchs ganze Büro, als wären seine Beine durch
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