Eindeutig Liebe - Roman
konnte. Vor meinem Schreibtisch blieb nur der Sessel zurück, der sich langsam um sich selbst drehte.
Ich und wer? Ich sah, wie sie in seinem Büro verschwanden. Die Tür wurde so fest zugeschlagen, dass die Jalousien laut gegen die Glasscheiben rasselten. Was soll’s, sagte ich mir. Ich werde es schon noch erfahren.
Während der Computer hochfuhr, versuchte ich mich daran zu erinnern, was ich für heute geplant hatte. Mein Terminkalender war ziemlich leer – der Tag konnte ganz schön langweilig werden. Dennoch, die Leute ringsum schienen alle aus irgendeinem Grund unruhig zu sein. Dad plante Weltreisen, Nick stand am Rande der Hysterie, und Lydia wusste irgendwas über mich und jemand anders – oder etwas …
Ich stand langsam auf und schlenderte zu Dills Aquarium, das mitten im Raum auf einem Aktenschrank stand. Dill war wenigstens normal; er konnte ja nicht anders. Er hatte nicht genug Hirn für drastische Stimmungsschwankungen. Ich beugte mich vor und spähte in das Becken. Meine Nase berührte leicht die glatte, kühle Glasscheibe. Dill wirkte so einsam, fand ich, während ich ihm dabei zusah, wie er in dem trüben Wasser herumschwamm, vorbei an der kleinen rosa Burg, die mit grünem Schleim bedeckt war. Er sah auch hungrig aus, also nahm ich eine Prise Fischflocken zwischen Daumen und Zeigefinger und streute sie aufs Wasser. Dill schoss sofort an die Oberfläche und schnappte sie mit seinem kleinen Maul. Wie süß! Die Deckenbeleuchtung spiegelte sich auf seinem Körper, sodass es bei jeder seiner Bewegungen golden aufblitzte. Während ich unser Redaktionsmaskottchen beobachtete, wäre ich beinah in Trance gefallen, als ich plötzlich ein Gesicht auf der anderen Seite des Beckens sah. Ein Gesicht, das mir so vertraut war und trotzdem durch die Schichten aus Glas und Wasser beinahe zur Unkenntlichkeit verzerrt wurde. Dill flitzte zu dem Gesicht an der Scheibe seines Beckens und versuchte, es mit dem Maul zu berühren.
»Nick, du bist so was von albern«, stellte ich fest, ohne mich jedoch von dem Becken zu lösen, weil die Situation irgendwie cool war. Sie war meine romantische Aquariumszene – nur mit Schimmel, Algen und, nun ja, meinem guten Freund Nick.
»Weiß ich«, gab er mir recht, löste sein Gesicht vom Glas und rieb sich die Wange. »Tut mir leid, dass ich dir Lydia einfach so entrissen habe«, fuhr er fort. Seine Stimme klang jetzt recht gedämpft.
»Genau, was sollte das denn eigentlich? Ich hatte gehofft, sie erzählt mir irgendeine spannende Geschichte«, entgegnete ich, und diesmal sprach ich etwas lauter.
Plötzlich verschwand sein Gesicht und tauchte direkt neben mir wieder auf. Ich fuhr hoch. »Was ist denn die große Neuigkeit?«, fragte ich und drehte mich zu ihm um.
»Äh, nichts«, erwiderte er und kratzte sich mit einem Bleistift am Kopf, um ihn sich dann beiläufig hinters Ohr zu schieben. Doch er fiel sofort wieder hinten runter und klirrte auf den Boden. So etwas machte Nick sonst nie. Was zum Teufel war hier los?
»Wie auch immer, Sienna, ich finde, wir sollten heute Abend zu Amis gehen. Was hältst du davon?«
Amis! Amis ist ein sehr feudales Restaurant mit Bar. Feudal im Sinne von jede Menge Besteck, Wasserschalen für die Finger und in Form von Waldtieren gefaltete Servietten. Heilige Scheiße!
»Zu Amis? Wirklich? Willst du nicht lieber bloß ins Sheep’s Head oder so? Ich habe gehört, das Naughty Step hat jetzt eine Happy Hour mit zwei Cocktails für den Preis von einem …«, schlug ich vor, neigte den Kopf zur Seite und sah ihm in die Augen. Sie leuchteten heute besonders; man hätte meinen können, in ihnen funkelte der Wahnsinn.
»Nein, nein. Wir gehen zu Amis. Ich bestelle einen Tisch für acht Uhr, okay?«
»Äh … okay. Klingt toll«, gab ich mich geschlagen und sah ihm nach, als er wegging und wieder in seinem Büro verschwand.
Hilfe, was sollte ich heute Abend nur anziehen? Hätte ich überhaupt genug Zeit, um nach Hause zu gehen, mich fertig zu machen und zum Abendessen wieder in Balham zu sein? Lydia sah zur mir herüber und hielt beide Daumen hoch. Dann deutete sie einen Reißverschluss an, indem sie ihre Finger über den Mund zog. Hmm.
Etwa zur Mittagszeit kam Chloe an meinen Schreibtisch. Auch sie wirkte irgendwie unruhig. Ihr Haar war heute sehr lockig: Sie hatte ihr Markenzeichen – die Zöpfchen – aufgelöst. Sie trug ein dunkelblaues Shirt und Leggings.
»Hallo, Si«, sagte sie und setzte sich neben mich. Dann begann sie, die Reste
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