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Eindeutig Liebe - Roman

Eindeutig Liebe - Roman

Titel: Eindeutig Liebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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was die kleine Blutlache zu bedeuten hatte, die seinen Kopf umgab. Die Ballons hingen an Schnüren, die er in der rechten, zur Faust geballten Hand hielt; sie liefen zwischen seinen Fingern hindurch. Mir wurde mulmig, und um mich herum begann sich alles zu drehen.
    Ich bekam weiche Knie. Ich fühlte mich schwach. Nein, das musste ein schlechter Scherz sein.
    Ich stürzte zu ihm und drückte meine zitternde Hand gegen seine Wange. Sie war kalt. Sofort begann ich zu weinen. Mein ganzer Körper schüttelte sich, als wäre ich in einer Winternacht aus dem Haus ausgesperrt worden. Ich spürte ganz genau, wie mein Herz in winzig kleine Splitter zerbarst. Es war, als fetzte etwas meine Seele entzwei, und jedes Reißen gab mir das Gefühl, dass dies das Ende der Welt war. Ich verlor meinen Halt, ich verlor meinen Vater.
    Ich drückte die Finger an Dads Lippen, an seinen Hals, an seine Brust, suchte voller Panik nach einem Lebenszeichen. Einem Herzschlag. Seinem Atem. Egal was.
    »Nein. Nein. Nein. Nein. Nein«, stammelte ich immer wieder. Ich rief es so laut, dass es von den Wänden widerhallte und zu mir zurückkam, um mich zu verspotten, ehe das Ticken der Uhr wieder das Kommando übernahm.
    »Bitte, nicht. Nicht mein Dad!« Ich schrie so durchdringend, dass es mir vorkam, als könnte die ganze Welt es hören. Meine Kehle fühlte sich an, als wollte sie zerreißen, und meine Stimme brach vor lauter Anstrengung.
    Ich lag auf seinem Rücken und weinte so sehr, dass es schmerzte. Meine Lungen rasselten. Vor lauter Weinen bekam ich keine Luft mehr. Es tat mir körperlich weh.
    Nicht mein Dad. Nein, bitte. Bitte. Bitte. Ich fuhr mit den Händen über sein Gesicht, dann schlang ich die Arme um seine Brust und drückte fest zu. Nichts geschah. Meine Gedanken überschlugen sich, während ich dort lag.
    Irgendwann setzte der Schock ein. Ich erhob mich ruhig und setzte das Teewasser auf. Nein, das war nicht möglich. Ich bildete mir das Ganze nur ein. In letzter Zeit hatte ich viel Stress gehabt. Es war nur ein Fantasiegespinst. Man hörte ständig, dass Leuten so etwas passierte, oder? Oder?
    Das Wasser blubberte so heftig, dass der Kocher auf der Arbeitsplatte klackerte. In einem Becher klapperten die Teelöffel. Ich nahm zwei große Tassen – eine grüne und eine blaue – und füllte sie mit Wasser, dann gab ich die Teebeutel und den Zucker hinein. Ich musste mir etwas Gutes tun, mir einen Augenblick Zeit nehmen, um meine Beförderung auszukosten – alles, was geschehen war. Dad wird gleich aufwachen, dachte ich. Ich goss je einen Schuss Milch in die beiden Tassen und sah zu, wie sie sich in dem trüben braunen Wasser verteilte.
    Nach einer Weile nahm ich die Tassen und ging damit ins Wohnzimmer. Dort saß ich stundenlang – zumindest kam es mir so vor – und sog die Stille in mich auf. Ich musste mal abschalten. Ganz offensichtlich verlor ich den Verstand. Ich musste zum Arzt. Vielleicht konnte er mir helfen. Ich würde meinem Arzt erzählen, dass ich Dinge sah. Mir Dinge einbildete. Schreckliche Dinge, die nicht real waren. Mein Handy klingelte. Es war Nick. Ich ging nicht ran. Als ich auf die Uhr sah, war es schon halb acht. Die Dunkelheit machte sich langsam breit, sickerte durch die Jalousien.
    Eine Weile später durchbrach ich den Abgrund des Schweigens. »Dad, dein Tee ist fertig«, sagte ich leise. Er würde jeden Augenblick hereinkommen, das wusste ich einfach. Schlurf, schlurf. Dieses Geräusch war das Markenzeichen meines Vaters. Vielleicht sollte ich ihm seine Tabletten hinlegen, überlegte ich. Doch dann durchfuhr mich die Erkenntnis wie ein Dolchstoß, und ich sah ihn wieder vor mir auf dem Küchenboden liegen. Noch immer herrschte gespenstische Stille. Ich rieb mit den Fäusten über meine Augen, wollte die Vision fortwischen. Das ist so nie geschehen, okay? Meine Unterlippe zitterte unkontrolliert.
    Nur um sicherzugehen, versuchte ich es noch einmal. »Dad. Tee ist fertig.« Ich wurde allmählich heiser.
    Kein Laut. Tick. Tack. Tick. Tack. »Dein Tee, Dad. Komm schon, beeil dich – sonst wird er kalt.«
    Wieder strömten Tränen aus meinen Augen, doch ich spürte nichts. Ich war wie betäubt. Die Tränen tropften mir auf den Schoß und auf die Finger. An meiner Kehle entstand ein kleines Schwimmbecken. Ich streckte die Hand aus und berührte Dads Teetasse. Sie war kalt. Kalt wie Stein.
    Nick
    Freitagabend um halb elf brachen wir Siennas Wohnung auf, ihr Nachbar Jack und ich. Er sagte, er habe sie schreien

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